Seiten

Freitag, 2. August 2013

Julietta Montefeltro - Julietta galt im Venedig des XVI. Jahrhunderts als eine der schönsten Frauen ganz Italiens

Julietta-Mysterium

  siehe auch: Julietta Montefltro & Tina Wendt

Das Mysterium der Julietta
Dies ist eine geheimnisumflorte Geschichte – und sicherlich mehr bloß als eine Geschichte. Viele, die von ihr hörten, haben sie nicht verstanden oder nicht glauben können. Andere waren von ihr bis zur Besessenheit fasziniert und versuchten, ein Grab der Julietta zu finden, das es vermutlich nicht gibt. Wiederum andere erfüllte die Geschichte und die Frau, von der sie erzählt, mit Furcht. In der Populär-Esoterik faßte die Geschichte um Julietta nie Fuß, schon in Ermangelung öffentlich zugänglichen Materials. Diejenigen, die es besitzen, haben eine eventuelle Vermarktung nicht fördern wollen. Es handelt sich hier auch um ein schwieriges Thema. Die Hintergründe der Julietta-Geschichte ragen graduell bis in unsere Gegenwart hinein, sie beinhalten nicht nur magische, sondern, zumindest mittelbar auch weltanschauliche Aspekte.
Darum ist die Julietta-Mythe jetzt wichtig, auf eine ganz besondere Art hoch aktuell, von der später noch ausführlich zu sprechen sein wird. Betrachten wir aber heute erst nochmals die Geschichte der Julietta in ihren verschiedenen Perspektiven. Für CN-Kenner ist vieles daran nicht neu, aber doch vielleicht aufzufrischen.
Julietta galt im Venedig des XVI. Jahrhunderts als eine der schönsten Frauen ganz Italiens. Aber niemand wußte, woher sie gekommen war noch konnte später jemand sagen, wo sie verblieb. Man weiß, daß es sie gab. Doch wer sie wirklich gewesen ist, das läßt sich bis heute nicht sagen. Es heraus zu finden hat so mancher probiert, und doch ist an dieser Aufgabe noch jeder gescheitert. Doch es hat Julietta gegeben und die Suggestivkraft, die von ihr ausging, wirkt noch heutzutage durch ihre Bilder. Um 1900 mußte ein Gemälde dieser bemerkenswerten Frau, das in der Wiener Secession ausgestellt war, abgehängt werden, da es alle Aufmerksamkeit allein auf sich zog und so viele Nachfragen hervorrief, daß der Ausstellungsbetrieb darunter litt, denn dieses Bild war unverkäuflich. So kehrte es zu seinem gegenwärtigen Besitzer nach Mailand zurück und wurde nicht abermals öffentlich gezeigt. Nur zwei Miniaturen der Julietta sind einem größeren Kreise bekannt. Beide ähneln sich sehr, sind wahrscheinlich nach einer gemeinsamen Vorlage angefertigt worden, und vermutlich hat es davon eine größere Anzahl gegeben. Nur die nicht besondes gut erhaltenen, restaurationsbedürftig gewesenen können heute gezeigt werden, und auch diese sind unverkäuflich.
Wer war diese Julietta, die in keinem gängigen Geschichtsbuch Erwähnung findet und doch so viel Faszinationskraft besitzt – über ihre Zeit hinaus?
Um auf diese Frage Antwort zu geben, müssen wir einen kleinen Umweg beschreiten.
Im Jahre 1510 hatte die Marchesa Antonia Contenta zusammen mit Gleichgesinnten in Venedig eine geheime Vereinigung gegründet: den Ordo Bucintoro (der schon damals den Beinamen „causa nostra“ trug). Der Name ging auf eine legendäre Prachtbarke zurück, die wiederum nach dem Bucintoro-Fest der venezianischen Seeleute benannt war.
Bucintoro  -  Barke
Dieses hat seine Ursprünge zum teil noch in heidnischen Riten, es versinnbildlicht die Vermählung Venedigs mit dem Meer. Doch all das war für den neuen Geheimbund nicht von Bedeutung. Den Namen „Ordo Bucintoro“ wählte die aus Rom stammende Antonia Contenta als Referenz an die damals mächtige Republik Venedig, die mehr Freiheit bot als andere Staaten.
Die Ziele des Ordo Bucintoro reichten weit in die Zukunft hinein: Ein neues Imperium im neuen Äon sollte vorbereitet werden – mit weltlichen und auch mit magischen Mitteln. Die Gründung des Geheimbunds fand im Hause der einflußreichen deutschen Kaufmannschaft zu Venedig statt. Auch der Doge war zugegen. Gefährliche Pläne wurden geschmiedet: Die Errichtung eines neuen deutsch-römischen Kaiserreichs, in dem nicht mehr die Kirche ausschlaggebend sein sollte, sondern der freie, sich selbst bestimmende Mensch. Alle italienischen und deutschen Stämme sollten in diesem freiheitlichen IMPERIUM NOVUM vereinigt sein. Frauen würden die gleichen Rechte besitzen wie Männer, und der Wert des einzelnen nicht durch Abkunft, sondern durch Leistung bemessen werden. Ein neues Geldsystem war vorgesehen, das Horten und Mißbrauch von materiellem Reichtum ausschloß. Viele revolutionäre Ideen.
Im Jahre 1512 bezog der geheime Orden ein eigenes Anwesen auf der Insel Murano. Drei Jahre später traf dort eine auffallend schöne junge Frau ein: Julietta. Man wußte nicht, woher sie kam, ob aus Venedig, vielleicht auch aus Mantua oder Florenz. Gewiß war nur, daß Antonia Contenta sie herbeigerufen hatte, damit sie ihre Nachfolge als Leiterin des Geheimbundes antrete. Antonia Contenta zog bald darauf mit ihrem Gatten nach Wien.
Ab 1516 amtierte Julietta als Sacerdotessa magna und Hochmeisterin des geheimen Bucintoro-Ordens. Sie verschwand spurlos im Jahre 1562.
Julietta
Juliettas vollständiger Name wurde niemals bekannt. Vielleicht ist sie die in den herzöglichen Familienchroniken des Hauses Urbino vertuschte Anna-Julia gewesen, die im Alter von sechzehn Jahren unter mysteriösen Umständen verstarb. Der Sarg von Anna-Julia erwies sich als leer, was aber nicht unbedingt ein Wahrheitsbeweis für die Identität mit Julietta sein muß. Auf alle Fälle dürfte Julietta einem alten namhaften Geschlecht entstammt haben, höchstwahrscheinlich einem italienischen, obwohl einige sie auch für eine Deutsche und andere für eine Spanierin hielten. Die italienische Herkunft Juliettas darf jedoch als einigermaßen gesichert gelten.
Schon zu ihren Lebzeiten rankten sich zahlreiche Legenden um sie, welche sie mit übernatürlichen Mächten im Bündnis sehen wollten. Manche hielten sie selbst für ein übernatürliches Wesen. Bezeugt ist, daß Julietta zeitweilig im Dogenpalast ein und aus ging. Da dies sehr offen geschah, wird sie gewiß keine Kurtisane gewesen sein (also anders als in der der stark verfremdeten Darstellung in „Hoffmanns Erzählungen“). Auch eine Hexe oder Zauberin würde der Doge kaum so offiziell zu sich eingeladen haben. Damit kann jene Annahme als die wahrscheinlich richtige eingestuft werden, die Julietta für eine Frau in geheimen diplomatischen Diensten der Republik Venedig hält.
Die Nahverbindung zum Geheimbund Ordo Bucintoro versetzt Julietta auf alle Fälle in ein mystisches Licht. Dieser Orden führte seine geheimen Grundsätze teilweise auf alte heidnische Kulte und auf magische Vorstellungen zurück. Als gesichert darf auch Juliettas anhaltende Liebschaft mit einem deutschen Prinzen gewertet werden (wahrscheinlich aus dem Hause Askanien, Sachsen-Anhalt). Einiges spricht dafür, daß sie diesen später unter anderem Namen heiratete. Das könnte ihr scheinbar spurloses Verschwinden erklären. Unzweifelhaft ist, daß der Bucintoto-Orden eine verdeckte Niederlassung in Dessau besaß. Bis 1945 soll es in Wörlitz bei Dessau ein Gemälde gegeben haben, daß Julietta dargestellt haben könnte. Was aus diesem Gemälde wurde, ist unbekannt. Fotografisch dokumentiert ist es nicht.
Über den Lebensweg und den Verbleib der historischen Julietta ist nichts mit letzter Gewißheit verbürgt, es gibt bekanntlich auch kein Grab von ihr. So gehört Julietta in die Reihe der angeblich Unsterblichen, wie etwa der Graf von St. Germain, um ein Beispiel zu nennen, oder auch der geheimnisumrankte Apollonius von Tyana.
Verblüffend sind die von Dr. S. Erede überprüften Reiseberichte, die Julietta betreffen. Sie wäre demnach zwischen Venedig, Rom, Neapel und Wien, Augsburg, Hamburg oder Madrid so schnell gereist, wie es sogar mit den modernsten Verkehrsmitteln des XXI. Jahrhunderts unmöglich sein würde. Die Zeugnisse über Juliettas Auftauchen an den verschiedenen Orten zur jeweils betreffenden Zeit scheinen jedoch stichhaltig zu sein. Also Hexerei? Das wohl kaum! Aber sie könnte – magisch gesprochen – die Fähigkeit besessen haben, die Sphären zu wechseln und somit von herkömmlichen Reisewegen unabhängig zu sein. Dieser Aspekt soll hier aber nicht vertieft werden, das wird gelegentlich ein eigenes Thema sein.
Juliettas außergewöhnliche Schönheit war berühmt, und dieser Ruhm bestand sicherlich zu Recht. Bemerkenswert ist, daß Beschreibungen sie stets als eine junge Frau schildern, gerade so, als ob sie niemals gealtert wäre. Nachstehend Auszüge aus einem Brief aus dem Jahre 1558:
Ihr Name ist Julietta. Mal sieht man sie in ihrer Gondel, mal in einer Sänfte, mal zu Fuße über den Markusplatz schreitend. Stets von zwei bewaffneten Dienern begleitet. Niemand scheint ihren vollständigen Namen zu kennen. Aber der Doge empfängt sie, die stolze Schöne. Die einen sagen, sie sei eine Kurtisane, die anderen sagen, eine Zauberin, die dritten, eine Diplomatin im geheimen Dienste der Republik Venedig, denn sie scheint oft zu reisen, doch keiner weiß, wohin, sie verschwindet dann wie durch Zauberei und kehrt ebenso wundersam wieder. Die Leute bewundern und verehren sie, manche aber auch gibt es, die sie fürchten, weil sie viel Einfluß besitzt…
Ihre Schönheit ist so groß, daß es Angst bereitet, sie anzuschauen, denn wer sie ansieht und wen dann ihr Blick trifft, der ist ihr auf ewig verfallen...
 
Dieser Mythos, daß ein Mann, der Julietta einmal sieht, ihr auf ewig verfallen sei, hat den romantischen Dichter E.T.A. Hoffmann dazu angeregt, einen Roman über sie schreiben zu wollen. Leider konnte oder wollte er dieses Werk nie vollenden, seine Notizen und Skizzen dazu sind verschollen. Die Annahme, E.T.A. Hoffmann habe diese selbst vernichtet, weil ihm diese Angelegenheit unheimlich wurde, läßt sich nicht untermauern. Nach anderen Behauptungen sollen sich die Notizen zu dem Julietta-Roman bis 1945 noch in Leipzig befunden haben und erst durch die letzten Kriegswirren verlorengegangen sein. Das erscheint glaubhaft, anderenfalls hätte Jacques Offenbach kaum von E.T.A. Hoffmanns Julietta-Projekt wissen können. Der gebürtige Deutsche Jacques (Jakob) Offenbach verwendete das Julietta-Motiv in seiner Oper „Hoffmanns Erzählungen“, wenn auch weit von der historischen Richtigkeit entfernt. Solche Bearbeitungen für eine Oper sind jedoch durchaus statthaft. Authentisch ist möglicherweise die berühmte Baccarole der Julietta aus dem 2. Akt. Offenbach hat diese Melodie nicht komponiert, sondern ein altes venezianisches Lied instrumentiert, wie er selbst anmerkte. Es könnte also sein, daß die historische Julietta dieses Lied einst tatsächlich gesungen hat – wer weiß? Auf jeden Fall bietet Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ einen wichtigen Hinweis, der vermutlich den inzwischen verschollenen Entwürfen E.T.A. Hoffmanns zu verdanken ist, die Jacques Offenbach scheinbar kannte. Das heißt, er muß eine Abschrift davon besessen haben. Eine Reise Offenbachs zur betreffenden Zeit, womöglich nach Leipzig, nicht bezeugt. Offenbach hat in seinen späten Jahren viel an seine deutsche Heimat gedacht und daher auch einen deutschen Stoff für sein größtes Werk, seine einzige Oper, gewählt. Die erste Fassung des Librettos soll Offenbach selbst entworfen haben, worauf die französische Erstfassung basiert. Da gibt es die Stelle, in der Hoffmann zu Julietta sagt (bzw. singt): „Mein Herz und mein Leben, will ich Dir geben.“ Denn Julietta hatte ja – sinnbildlich - das Herz Hoffmanns erbeten. Was steht hinter dieser anscheinend nur romantischen Arie? Eine tiefgreifende magische Erkenntnis: Das Prinzip der magischen Wiedergeburt und der „doppelten Unsterblichkeit“! Doppelte Unsterblichkeit, weil jeder Mensch, überhaupt jedes Lebewesen, das unverlierbare ewige Leben besitzt. Sterben gibt es bloß im Irdischen. Danach, im Jenseits, schließlich im Reich Gottes, herrscht Unsterblichkeit (Über dieses Motiv haben wir schon in CN-1 und CN-2 gesprochen, ohne aber in der Lage gewesen zu sein, sämtliche Einzelheiten zu erfassen, denn das ist äußerst schwierig, und noch immer sind manche Details ungeklärt).
Nur wenige Menschen sind stark genug, um sich auch im Irdischen Unsterblichkeit zu schaffen. Diese Ausdrucksweise ist bewußt so gewählt: Der oder die Betreffende muß sich die irdische Unsterblichkeit selbst schaffen! Das vermögen nur wenige. Rein von Prinzip her gesehen ist es jedoch erlernbar, und dieses Erlernen der doppelten Unsterblichkeit bildete eines der wichtigsten Geheimnisse des Ordo Bucintoro. Das Ziel dieser Vereinigung lag ja, aus damaliger Sicht, in ferner Zukunft, nämlich ungefähr in unserer heutigen Zeit. Daher mußten die führenden Köpfe des Bucintoro-Ordens die Fähigkeit erwerben, lange nach ihrem irdischen Sterben wieder auf der Erde aktiv werden zu können. Dafür durfte nichts dem Zufall überlassen werden. Alles mußte nach Plan verlaufen. Das wäre jedoch ein eigenes Thema. Uns soll jetzt nur das Prinzip der „doppelten Unsterblichkeit“ interessieren, so weit wir da eindringen können, sowie die magische Wiedergeburt.
Sehen wir uns zunächst nochmals die im CN-Kreis bekannten Systeme an, die dem Prinzip der doppelten Unsterblichkeit zugrunde liegen:
Jeder Mensch – überhaupt jedes Lebewesen – ist eine Dreieinheit aus Geist, Seele, Leben. Der Geist entspricht dem Wesen, die Seele der Form, dazu kommt die unverlierbare Kraft des Lebens. Jeder besitzt einen „inneren Leib" (quasi Astralkörper). Dieser ist ewig, sein Zustand entspricht dem Ausgewachsenseins, beim Menschen also ungefähr dem 21. Lebensjahr. Der irdische Leib bildet sich um den inneren Leib aufgrund von dessen Muster. Nach dem Sterben löst sich der innere Leib (Astralkörper) aus dem unbrauchbar gewordenen Erdenleib. Das eigentliche Wesen des Menschen, seinen untrennbar mit dem inneren Leib verbundenes Ich, die ewige Dreieinheit Geist-Seele-Leben, damit also seine ichbewußte Persönlichkeit, berührt dies im Grunde wenig. In einer seiner Eigenschwingung angemessenen jenseitigen Welt bildet sich aus einer passenden neuen Stofflichkeit um den inneren Leib, der feinstofflich ist, ein neuer äußerer Leib. Dieser hat wieder eine grostoffliche Form, wenn auch nicht identisch mit dem irdischen Grobstoff, sondern dem der jenseitigen Welt angemessen.
Gehen wir jetzt ins Konkrete, der „Julietta-Fall“ ist dafür als Beispiel sehr geeignet. Nehmen wir an, was vorstellbar ist, Julietta war Anna-Julia da Montefeltro (ihr späteres Auftreten als Julietta da Montefeltro spricht durchaus dafür).
Anna-Julia verstarb im Alter von 16 Jahren. Dann hätten wir den interessanten Fall, daß sie als Julietta in das irdische Leben zurückkam, und zwar verhältnismäßig bald nach ihrem Versterben, knapp 25 Jahre danach. Dies geht mit der Annahme konform, daß aufgrund des anders als im Irdischen gearteten Zeitflusses in der Generalschwingungssphäre des Jenseits eine Zeitspanne von 24 bis 28 Erdenjahren vergeht, ehe eine magische Wiederverkörperung möglich ist. Als Julietta in Venedig auftauchte, hatte sie ein Alter von Anfang 20. Das entspricht der 1:1-Umsetzung des inneren Leibs. Anna-Julia „1“ wäre damals viel älter gewesen, ohne zwischenzeitliches Sterben könnte sie daher keinesfalls Julietta sein. Juliettas Ankunft in Venedig erfolgte offenkundig nicht unvorbereitet. Auf Murano wartete bereits ein Haus auf sie, dessen Garten unmittelbar an den Park des Bucintoro-Anwesens auf der Insel angrenzte. Das wird kaum Zufall gewesen sein. Werfen wir also nun nochmals einen Blick auf den Ordo Bucintoro. Dieser war in erster Linie eine Gründung der Marchesa Antonia Contenta, unterstützt von anderen italienischen Adeligen und der deutschen Kaufmannschaft zu Venedig, heimlich gefördert vom Dogen. Nun müssen wir klären, wer Antonia Contenta war. Sie entstammte einem alten römischen Adelsgeschlecht. Mit einer etwaigen „früheren Julietta“ identisch sein konnte sie nicht. Antonia Contenta war blond, Julietta rötlich-brünett. Sie sind auch sonst unterschiedliche Typen gewesen. Ferner ist die Geschichte der Antonia Contenta recht gut bekannt, ihre Ehe mit dem aus Burgund stammenden Bernard, sie hatte vier Kinder, lebte später in Wien etc. Aber zweifellos hat Antonia Contenta die magischen Regeln des Ordo Bucintoro aufgestellt und war in der ausschlaggebenden Anfangszeit federführend im Orden. Diese Funktion auf dauer auszufüllen, ist wahrscheinlich nie ihre Absicht gewesen, sie suchte nach einer geeigneten Frau, das Werk weiterzuführen. Wenn wir ihre Schriftensammlung „Spiritus Eros“ (dieser Titel wurde den Notizen erst später gegeben) betrachten, so geht daraus eindeutig hervor, daß sie genau jene Prinzipien kannte und praktisch anzuwenden wußte, von denen wir hier zu reden haben. Sofern wir die mystisch-magischen Systeme als real annehmen wollen, die im Ordo Bucintoro vertreten wurden, wäre es ganz im Sinne der Sache gewesen, daß Antonia Contenta die magische Wiedergeburt der Anna-Julia da Montefeltro als Julietta im Sinne der Ordensziele ins Werk setzte. Damit müssen wir uns Anna-Julia näher anschauen. Diese galt mit 15 und 16 Jahren bereits als „Zauberin“. Ihr wurden unheimliche Kräfte nachgesagt. Die Beschreibung ihres Äußeren paßt sehr gut auf Julietta. Nehmen wir an, was durchaus statthaft ist, die Kunde um Anna-Julias „unheimliche Kräfte“ sei auch Antonia Contenta zu Ohren gedrungen. Sie mag dadurch inspiriert worden sein, diesen Gerüchten nachzugehen. Das wäre ihr, als einer namhaften Dame der Gesellschaft, ein Leichtes gewesen. So kann sie zu der Auffassung gelangt sein, das Mädchen Anna-Julia wäre äußerst geeignet für ihren Ordo Bucintoro. Allein – Anna- Julia war verstorben (möglicherweise vergiftet worden?). Für eine magische Sacerdotessa (Priesterin) kein unlösbares Problem. Es ist gut denkbar, daß die Marchesa jene Anna-Julia wegen ihrer besonderen Veranlagungen in den Reihen des Ordens haben wollte; genau solche Menschen benötigte diese Gemeinschaft ja, um ihre Ziele zu erreichen. Allerdings, wir wissen es: Anna-Julia war verstorben, sie mußte also in die irdische Stofflichkeit zurückkehren. Gehen wir nun davon aus, daß die Marchesa (nebst Gehilfen und Gehilfinnen, die grobstoffliche Wiedergeburt der Anna-Julia betrieb und auch zuwege brachte. Nach der Kundigkeit im Ordo Bucintoro wäre das nicht einmal sonderlich schwierig gewesen. Den Auffassungen des Ordens folgend, haben wir uns den Hergang ungefähr folgendermaßen vorzustellen:
Zuerst mußte die verstorbene Anna-Julia im Jenseits aufgespürt und sozusagen dort drüben angesprochen werden. Da medialer Verkehr mit der geistigen Welt im Ordo Bucintoro zum Alltäglichen gehörte, konnte das keine sonderliche Mühe bereiten. Das Dasein auf jenseitigen Welten haben wir uns in vielerlei Hinsicht dem irdischen ähnlich vorzustellen. Die Art der Stofflichkeit ist zwar „drüben“ eine andere, doch das nimmt das subjektive Empfinden vermutlich kaum wahr. Das Leben im Jenseits kennt kein Sterben mehr, auch kein Altern und keine Krankheit, wie auch keine Fortpflanzung, aber alles in allem ist es dem gewohnten Erdendasein wohl durchaus verwandt. Auch dort gibt es unterschiedliche Charaktere etc. (wir sprechen von jenseitigen Welten, nicht vom höchsten Licht, dem Reich Gottes). Es galt also zu-nächst, Anna-Julias Vertrauen zu gewinnen und dann, sie von der Sinnhaftigkeit einer irdischen Wiedergeburt ihrer Person zu überzeugen. Hier ist knapp darzulegen, wie solch eine Diesseits-Jenseits-Kommunikation möglich ist: Die Jenseitigen können die Grobstoffleiber von uns Diesseitigen nicht sehen und auch nicht hören, was wir mit unserer Stimme artikulieren – aber sie sehen unsere inneren Leiber (die „Astralkörper“) und erkennen auch alle unsere Gedanken! Die Kommunikation erfolgt also durch das Senden von Gedankenbildern und gedachten Worten (bloßes Aussprechen von Beschwörungsformerl würde gar nichts bewirken; „Schwingungsworte“ wirkten anders). Das Gelingen solcher Gedankenkommunikation ist in erster Linie eine Frage guter Konzentrationsfähigkeit. Dabei handelt es sich um ein Denken mit dem Geist, was etwas anderes bedeutet als Denken mit dem Verstand. Hier berühren wir ein Feld wirksamer Magie, denn Magie ist bekanntlich: Wirken durch Wollen. Im Ordo Bucintoro wurden dazu verschiedene Verfahrensweisen ausgeübt, es war eine Angelegenheit der Frauen. Diesen Punkt auszuweiten würde an dieser Stelle zu weit führen, es ist für das weitere Verstehen des Vorgangs auch nicht nötig. Also zurück zum konkreten Fall. Wir wissen, Anna-Julia hatte sowieso einen Hang zu Mystik und Magie. Für das Unterfangen dürfte sie also offen gewesen sein. Im übrigen gab es vielleicht sozusagen vor Ort sehr überzeugende Mittler, etwa verstorbene Tempelritter, wie Saint-Omer (ein direkter Vorfahre von Antonia Contentas Mann) oder der Wiener Komtur Hugo, vielleicht auch Jocelyne d'Arras - auf alle Fälle überzeugende Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts. Nehmen wir weiter an, dieser erste nötige Schritt war getan, es bestand direkter medialer Kontakt zwischen dem Ordo Bucintoro im irdischen Venedig und Anna-Julia im Jenseits. Sodann war es nötig, die ja auf Erden jung und ohne viel Lebenserfahrung verstorbene Anna-Julia genau zu instruieren - sicherlich unterstützt von jenseitigen Verbündeten - denn sie mußte ja die nächsten Schritte allein tun, alles lag jetzt bei ihr. Der verstorbenen Anna-Julia mußte klargemacht und beigebracht werden, wie sie irdische Grobstoffe ansammeln und damit um ihren inneren Leib (Astralkörper) einen neuen Grobstoffleib aus irdischer Materie bilden konnte. Das wiederum hieß, sie zunächst unbeschadet durch die gefährliche „Nebelheimzone“ zu leiten, welche die Randbereiche von Jenseits und diesseits überlappt. Gehen wir davon aus, daß jenseitige Helfer, wie etwa der verstorbene Saint-Omer oder Jocelyne, dafür sorgten, daß dies problemlos geschah. Jetzt befand sich Anna-Julia also im Nahebereich zum Irdischen, sie konnte die notwendigen Grobstoffe kraft ihres Willens heranziehen. Sämtliche Grobstoffe, die zur Bildung eines Erdenleibs nötig sind, gibt es in der irdischen Natur. Es kam also nur noch auf Anna-Julias Willenskraft an. Diese dürfte aber gut ausgeprägt gewesen sein, allzumal ja eine Neigung zu dergleichen in ihrem Wesen vorhanden war, die Schwingungsaffinität also stimmte. Jetzt war es so weit, daß Anna-Julia wieder in irdischer Stofflichkeit erschien, wiederverkörpert nach dem unveränderlichen Grundmuster ihres inneren Leibes, das heißt im scheinbaren Lebensalter von Anfang 20. Anna-Julias irdische Wiederverkörperung fand sicherlich an einem auf medialem Weg besprochenen Ort statt, ganz unauffällig. Von dort aus wäre die Wiederverkörperte dann unter dem Namen Julietta ganz unbefangen nach Venedig gereist, um dort ihren schon vorbereiteten Wohnsitz zu beziehen. Es wäre unklug gewesen, eine Frau sozusagen mitten in Venedig aus dem Nichts auftauchen zu lassen, es war besser, sie kam angereist, wie Menschen aus einer anderen Stadt zu kommen pflegen. Daß sich all dies so verhalten hat, ist nur eine Annahme, aber eine logische.
Jetzt fehlt natürlich noch ein Kernpunkt der Julietta-Mythe, doch auch dieser ist nun gut erklärbar: Anna-Julia, nun mehr Julietta, benötigte möglichst bald nach ihrer Wiedergeburt die „Bindesubstanz“ zur Befestigung der irdischen Stoffe um ihren „Astralkörper“. Diese spezielle Substanz mußte ein opferbereiter Mann ihr durch den Liebesakt geben. Das kann keine Schwierigkeit dargestellt haben, es gab bestimmt genug männliche Ordens-mitglieder, die gerne bereit waren, den nötigen Beitrag zum Gelingen der Sache zu leisten. Der Mann büßte dadurch zwar einiges an Lebenskraft ein, konnte sich aber durchaus wieder erholen. Die Julietta-Sage behauptet auch nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir den Schriften „Spiritus Eros“ folgen, muß die Bindesubstanz der Wiedergeborenen möglichst schnell zugeführt werden. Auch insofern wollte das ganze Unternehmen gut vorbereitet sein. Die Angekommene war ja nicht aus ureigenem Antrieb und nach langer Vorbereitung auf diesen Weg gegangen, sondern im wesentlichen unvorbereitet. Bei einer eventuellen nächsten Wiederverkörperung solcher Art, vielleicht Jahrhunderte später, hätte sie alles Nötige beherrscht und den Vorgang auch ohne Hilfestellung zu bewerkstelligen vermocht. Die Zuführung der Bindesubstanz muß in gewissen Abständen immer wieder erneuert werden, damit der neue irdische Leib der an sich Jenseitigen im Diesseits  stabil bleibt. Die sexualmagische Komponente spielt also auch hier eine Rolle.
Was nun Julietta betrifft, so könnte sie auch rein jenseitiger Natur gewesen sein, also keine verstorbene Irdische. Im Kreise des Bucintoro-Ordens würde man dann von einer „Venustochter“ gesprochen haben. Auch das wäre kein „dämonisches“ Wesen, was allerdings nicht bedeutet, daß nicht auch eine Dämonin denkbar wäre. Aber dergleichen wäre eine grundlegend andere Sicht auf das Thema. Im Hinblick auf „Exorial“ ist diese andere Eventualität nicht zu behandeln, hier kommt am ehesten das Prinzip der doppelten Unsterblichkeit in Frage. Im übrigen bietet hinsichtlich der Junletta die magische Wiedergeburt der Anna-Julia auch die naheliegendere Erklärung im vorliegenden Fall.
Was nun die Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit anbelangt, die Julietta nachgeraunt wurde, so kann die vage nachverfolgbare Geschichte ihres Wegs nach Sachsen-Anhalt dazu einiges aussagen, wo sie, wie schon angemerkt, möglicherweise unter anderem Namen einen Prinzen aus dem Hause Askanien heiratete. Das kann sein, es würde nicht grundsätzlich gegen das übrige Gesagte stehen, wenn auch mit Einschränkungen. Denn zutreffend scheint zu sein, daß Julietta über einen erstaunlich langen Zeitraum das Aussehen einer Frau von Anfang 20 bewahrte, nämlich über ein halbes Jahrhundert. Es gibt kein Bild und keine Beschreibung von ihr, die von einem älteren Aussehen dieser Frau berichtet, obschon sie mittlerweile mindestens 70 sein mußte. War sie eine magisch Wiedergeborene, so wäre das logisch und auch gar nicht anders möglich, da ihr diesseitiger Leib ja quasi künstlich um den „Astralkörper“ gebildet ist und durch regelmäßiges Zuführen der Bindesubstanz in diesem Zustand gehalten wird.
Verweilen wir noch für einen weiteren Augenblick in den magischen Systemen des Ordo Bucintoro: Durch die immer wieder erneut zugeführte Bindesubstanz erklärt sich das unwandelbare Aussehen der Julietta als eine Frau von stets etwa 21 Jahren – denn sie kann nur so im Irdischen existieren, anderenfalls würde der quasi künstlich aufgebaute irdische Leib sich auflösen. Über welchen Zeitraum solch ein Zustand sich aufrechterhalten läßt, ist umstritten. Sicherlich sehr lange, aber wahrscheinlich nicht unbegrenzt. Jedenfalls kann eine magisch wiedergeborene Person nicht an Altersschwäche oder auf einem anderen idrisch-natürlichen Weg diese Welt verlassen. Sie kann nicht sterben, sondern bloß wieder „hinübergehen“. Wenn sie eine Mission erfüllt – wie Julietta für den Ordo Bucintoro – wird sie in ihre jenseitige Welt zurückkehren, so bald alles Nötige getan ist. Sie könnte aus ganz banalen Gründen auch nicht auf dauer an einem Ort verweilen, weil in ihrer Umgebung irgendwann auffallen würde, daß sie nicht altert.
Es ist aber anzunehmen, daß eine sozusagen geübte doppelt Unsterbliche nicht nur einmal und in einer Zeit, sondern mehrfach in verschiedenen Epochen sozusagen „zum Einsatz“ gelangt. Wenn wir davon ausgehen wollen, daß die Julietta-Geschichte mehr als bloß eine Geschichte ist, wofür vieles spricht, so hat diese Frau vielleicht inzwischen schon mehrfach als magisch Wiedergeborene auf der Erde gewirkt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen