siehe auch: Julietta Montefltro & Tina Wendt
Das
Mysterium der Julietta
Dies ist
eine geheimnisumflorte Geschichte – und sicherlich mehr bloß als eine
Geschichte. Viele, die von ihr hörten, haben sie nicht verstanden oder
nicht glauben können. Andere waren von ihr bis zur Besessenheit
fasziniert und versuchten, ein Grab der Julietta zu finden, das es
vermutlich nicht gibt. Wiederum andere erfüllte die Geschichte und die
Frau, von der sie erzählt, mit Furcht. In der Populär-Esoterik faßte die
Geschichte um Julietta nie Fuß, schon in Ermangelung öffentlich
zugänglichen Materials. Diejenigen, die es besitzen, haben eine
eventuelle Vermarktung nicht fördern wollen. Es handelt sich hier auch
um ein schwieriges Thema. Die Hintergründe der Julietta-Geschichte ragen
graduell bis in unsere Gegenwart hinein, sie beinhalten nicht nur
magische, sondern, zumindest mittelbar auch weltanschauliche Aspekte.
Darum
ist die Julietta-Mythe jetzt wichtig, auf eine ganz besondere Art hoch
aktuell, von der später noch ausführlich zu sprechen sein wird.
Betrachten wir aber heute erst nochmals die Geschichte der Julietta in
ihren verschiedenen Perspektiven. Für CN-Kenner ist vieles daran nicht
neu, aber doch vielleicht aufzufrischen.
Julietta
galt im Venedig des XVI. Jahrhunderts als eine der schönsten Frauen ganz
Italiens. Aber niemand wußte, woher sie gekommen war noch konnte später
jemand sagen, wo sie verblieb. Man weiß, daß es sie gab. Doch wer sie
wirklich gewesen ist, das läßt sich bis heute nicht sagen. Es heraus zu
finden hat so mancher probiert, und doch ist an dieser Aufgabe noch
jeder gescheitert. Doch es hat Julietta gegeben und die Suggestivkraft,
die von ihr ausging, wirkt noch heutzutage durch ihre Bilder. Um 1900
mußte ein Gemälde dieser bemerkenswerten Frau, das in der Wiener
Secession ausgestellt war, abgehängt werden, da es alle Aufmerksamkeit
allein auf sich zog und so viele Nachfragen hervorrief, daß der
Ausstellungsbetrieb darunter litt, denn dieses Bild war unverkäuflich.
So kehrte es zu seinem gegenwärtigen Besitzer nach Mailand zurück und
wurde nicht abermals öffentlich gezeigt. Nur zwei Miniaturen der
Julietta sind einem größeren Kreise bekannt. Beide ähneln sich sehr,
sind wahrscheinlich nach einer gemeinsamen Vorlage angefertigt worden,
und vermutlich hat es davon eine größere Anzahl gegeben. Nur die nicht
besondes gut erhaltenen, restaurationsbedürftig gewesenen können heute
gezeigt werden, und auch diese sind unverkäuflich.
Wer war
diese Julietta, die in keinem gängigen Geschichtsbuch Erwähnung findet
und doch so viel Faszinationskraft besitzt – über ihre Zeit hinaus?
Um auf
diese Frage Antwort zu geben, müssen wir einen kleinen Umweg
beschreiten.
Im Jahre
1510 hatte die Marchesa Antonia Contenta zusammen mit Gleichgesinnten in
Venedig eine geheime Vereinigung gegründet: den Ordo Bucintoro (der
schon damals den Beinamen „causa nostra“ trug). Der Name ging auf eine
legendäre Prachtbarke zurück, die wiederum nach dem Bucintoro-Fest der
venezianischen Seeleute benannt war.
Dieses
hat seine Ursprünge zum teil noch in heidnischen Riten, es
versinnbildlicht die Vermählung Venedigs mit dem Meer. Doch all das war
für den neuen Geheimbund nicht von Bedeutung. Den Namen „Ordo Bucintoro“
wählte die aus Rom stammende Antonia Contenta als Referenz an die damals
mächtige Republik Venedig, die mehr Freiheit bot als andere Staaten.
Die
Ziele des Ordo Bucintoro reichten weit in die Zukunft hinein: Ein neues
Imperium im neuen Äon sollte vorbereitet werden – mit weltlichen und
auch mit magischen Mitteln. Die Gründung des Geheimbunds fand im Hause
der einflußreichen deutschen Kaufmannschaft zu Venedig statt. Auch der
Doge war zugegen. Gefährliche Pläne wurden geschmiedet: Die Errichtung
eines neuen deutsch-römischen Kaiserreichs, in dem nicht mehr die Kirche
ausschlaggebend sein sollte, sondern der freie, sich selbst bestimmende
Mensch. Alle italienischen und deutschen Stämme sollten in diesem
freiheitlichen IMPERIUM NOVUM vereinigt sein. Frauen würden die gleichen
Rechte besitzen wie Männer, und der Wert des einzelnen nicht durch
Abkunft, sondern durch Leistung bemessen werden. Ein neues Geldsystem
war vorgesehen, das Horten und Mißbrauch von materiellem Reichtum
ausschloß. Viele revolutionäre Ideen.
Im Jahre
1512 bezog der geheime Orden ein eigenes Anwesen auf der Insel Murano.
Drei Jahre später traf dort eine auffallend schöne junge Frau ein:
Julietta. Man wußte nicht, woher sie kam, ob aus Venedig, vielleicht
auch aus Mantua oder Florenz. Gewiß war nur, daß Antonia Contenta sie
herbeigerufen hatte, damit sie ihre Nachfolge als Leiterin des
Geheimbundes antrete. Antonia Contenta zog bald darauf mit ihrem Gatten
nach Wien.
Ab 1516
amtierte Julietta als Sacerdotessa magna und Hochmeisterin des geheimen
Bucintoro-Ordens. Sie verschwand spurlos im Jahre 1562.
Juliettas vollständiger Name wurde niemals bekannt. Vielleicht ist sie
die in den herzöglichen Familienchroniken des Hauses Urbino vertuschte
Anna-Julia gewesen, die im Alter von sechzehn Jahren unter mysteriösen
Umständen verstarb. Der Sarg von Anna-Julia erwies sich als leer, was
aber nicht unbedingt ein Wahrheitsbeweis für die Identität mit Julietta
sein muß. Auf alle Fälle dürfte Julietta einem alten namhaften
Geschlecht entstammt haben, höchstwahrscheinlich einem italienischen,
obwohl einige sie auch für eine Deutsche und andere für eine Spanierin
hielten. Die italienische Herkunft Juliettas darf jedoch als
einigermaßen gesichert gelten.
Schon zu
ihren Lebzeiten rankten sich zahlreiche Legenden um sie, welche sie mit
übernatürlichen Mächten im Bündnis sehen wollten. Manche hielten sie
selbst für ein übernatürliches Wesen. Bezeugt ist, daß Julietta
zeitweilig im Dogenpalast ein und aus ging. Da dies sehr offen geschah,
wird sie gewiß keine Kurtisane gewesen sein (also anders als in der der
stark verfremdeten Darstellung in „Hoffmanns Erzählungen“). Auch eine
Hexe oder Zauberin würde der Doge kaum so offiziell zu sich eingeladen
haben. Damit kann jene Annahme als die wahrscheinlich richtige
eingestuft werden, die Julietta für eine Frau in geheimen diplomatischen
Diensten der Republik Venedig hält.
Die
Nahverbindung zum Geheimbund Ordo Bucintoro versetzt Julietta auf alle
Fälle in ein mystisches Licht. Dieser Orden führte seine geheimen
Grundsätze teilweise auf alte heidnische Kulte und auf magische
Vorstellungen zurück. Als gesichert darf auch Juliettas anhaltende
Liebschaft mit einem deutschen Prinzen gewertet werden (wahrscheinlich
aus dem Hause Askanien, Sachsen-Anhalt). Einiges spricht dafür, daß sie
diesen später unter anderem Namen heiratete. Das könnte ihr scheinbar
spurloses Verschwinden erklären. Unzweifelhaft ist, daß der
Bucintoto-Orden eine verdeckte Niederlassung in Dessau besaß. Bis 1945
soll es in Wörlitz bei Dessau ein Gemälde gegeben haben, daß Julietta
dargestellt haben könnte. Was aus diesem Gemälde wurde, ist unbekannt.
Fotografisch dokumentiert ist es nicht.
Über den
Lebensweg und den Verbleib der historischen Julietta ist nichts mit
letzter Gewißheit verbürgt, es gibt bekanntlich auch kein Grab von ihr.
So gehört Julietta in die Reihe der angeblich Unsterblichen, wie etwa
der Graf von St. Germain, um ein Beispiel zu nennen, oder auch der
geheimnisumrankte Apollonius von Tyana.
Verblüffend sind die von Dr. S. Erede überprüften Reiseberichte, die
Julietta betreffen. Sie wäre demnach zwischen Venedig, Rom, Neapel und
Wien, Augsburg, Hamburg oder Madrid so schnell gereist, wie es sogar mit
den modernsten Verkehrsmitteln des XXI. Jahrhunderts unmöglich sein
würde. Die Zeugnisse über Juliettas Auftauchen an den verschiedenen
Orten zur jeweils betreffenden Zeit scheinen jedoch stichhaltig zu sein.
Also Hexerei? Das wohl kaum! Aber sie könnte – magisch gesprochen – die
Fähigkeit besessen haben, die Sphären zu wechseln und somit von
herkömmlichen Reisewegen unabhängig zu sein. Dieser Aspekt soll hier
aber nicht vertieft werden, das wird gelegentlich ein eigenes Thema
sein.
Juliettas außergewöhnliche Schönheit war berühmt, und dieser Ruhm
bestand sicherlich zu Recht. Bemerkenswert ist, daß Beschreibungen sie
stets als eine junge Frau schildern, gerade so, als ob sie niemals
gealtert wäre. Nachstehend Auszüge aus einem Brief aus dem Jahre 1558:
Ihr
Name ist Julietta. Mal sieht man sie in ihrer Gondel,
mal in einer Sänfte, mal zu Fuße über den Markusplatz schreitend.
Stets von zwei bewaffneten Dienern begleitet. Niemand scheint ihren
vollständigen Namen zu kennen. Aber der Doge empfängt sie, die stolze
Schöne. Die einen sagen, sie sei eine Kurtisane, die anderen sagen, eine
Zauberin, die dritten, eine Diplomatin im geheimen Dienste der Republik
Venedig, denn sie scheint oft zu reisen, doch keiner weiß, wohin, sie
verschwindet dann wie durch Zauberei und kehrt ebenso wundersam wieder.
Die Leute bewundern und verehren sie, manche aber auch gibt es, die sie
fürchten, weil sie viel Einfluß besitzt…
Ihre
Schönheit ist so groß, daß es Angst bereitet, sie anzuschauen, denn wer
sie ansieht und wen dann ihr Blick trifft, der ist ihr auf ewig
verfallen...
Dieser
Mythos, daß ein Mann, der Julietta einmal sieht, ihr auf ewig verfallen
sei, hat den romantischen Dichter E.T.A. Hoffmann dazu angeregt, einen
Roman über sie schreiben zu wollen. Leider konnte oder wollte er dieses
Werk nie vollenden, seine Notizen und Skizzen dazu sind verschollen. Die
Annahme, E.T.A. Hoffmann habe diese selbst vernichtet, weil ihm diese
Angelegenheit unheimlich wurde, läßt sich nicht untermauern. Nach
anderen Behauptungen sollen sich die Notizen zu dem Julietta-Roman bis
1945 noch in Leipzig befunden haben und erst durch die letzten
Kriegswirren verlorengegangen sein. Das erscheint glaubhaft,
anderenfalls hätte Jacques Offenbach kaum von E.T.A. Hoffmanns
Julietta-Projekt wissen können. Der gebürtige Deutsche Jacques (Jakob)
Offenbach verwendete das Julietta-Motiv in seiner Oper „Hoffmanns
Erzählungen“, wenn auch weit von der historischen Richtigkeit entfernt.
Solche Bearbeitungen für eine Oper sind jedoch durchaus statthaft.
Authentisch ist möglicherweise die berühmte Baccarole der Julietta aus
dem 2. Akt. Offenbach hat diese Melodie nicht komponiert, sondern ein
altes venezianisches Lied instrumentiert, wie er selbst anmerkte. Es
könnte also sein, daß die historische Julietta dieses Lied einst
tatsächlich gesungen hat – wer weiß? Auf jeden Fall bietet Offenbachs
Oper „Hoffmanns Erzählungen“ einen wichtigen Hinweis, der vermutlich den
inzwischen verschollenen Entwürfen E.T.A. Hoffmanns zu verdanken ist,
die Jacques Offenbach scheinbar kannte. Das heißt, er muß eine Abschrift
davon besessen haben. Eine Reise Offenbachs zur betreffenden Zeit,
womöglich nach Leipzig, nicht bezeugt. Offenbach hat in seinen späten
Jahren viel an seine deutsche Heimat gedacht und daher auch einen
deutschen Stoff für sein größtes Werk, seine einzige Oper, gewählt. Die
erste Fassung des Librettos soll Offenbach selbst entworfen haben,
worauf die französische Erstfassung basiert. Da gibt es die Stelle, in
der Hoffmann zu Julietta sagt (bzw. singt): „Mein Herz und mein Leben,
will ich Dir geben.“ Denn Julietta hatte ja – sinnbildlich - das Herz
Hoffmanns erbeten. Was steht hinter dieser anscheinend nur romantischen
Arie? Eine tiefgreifende magische Erkenntnis: Das Prinzip der magischen
Wiedergeburt und der „doppelten Unsterblichkeit“! Doppelte
Unsterblichkeit, weil jeder Mensch, überhaupt jedes Lebewesen, das
unverlierbare ewige Leben besitzt. Sterben gibt es bloß im Irdischen.
Danach, im Jenseits, schließlich im Reich Gottes, herrscht
Unsterblichkeit (Über dieses Motiv haben wir schon in CN-1 und CN-2
gesprochen, ohne aber in der Lage gewesen zu sein, sämtliche
Einzelheiten zu erfassen, denn das ist äußerst schwierig, und noch immer
sind manche Details ungeklärt).
Nur
wenige Menschen sind stark genug, um sich auch im Irdischen
Unsterblichkeit zu schaffen. Diese Ausdrucksweise ist bewußt so gewählt:
Der oder die Betreffende muß sich die irdische Unsterblichkeit selbst
schaffen! Das vermögen nur wenige. Rein von Prinzip her gesehen ist es
jedoch erlernbar, und dieses Erlernen der doppelten Unsterblichkeit
bildete eines der wichtigsten Geheimnisse des Ordo Bucintoro. Das Ziel
dieser Vereinigung lag ja, aus damaliger Sicht, in ferner Zukunft,
nämlich ungefähr in unserer heutigen Zeit. Daher mußten die führenden
Köpfe des Bucintoro-Ordens die Fähigkeit erwerben, lange nach ihrem
irdischen Sterben wieder auf der Erde aktiv werden zu können. Dafür
durfte nichts dem Zufall überlassen werden. Alles mußte nach Plan
verlaufen. Das wäre jedoch ein eigenes Thema. Uns soll jetzt nur das
Prinzip der „doppelten Unsterblichkeit“ interessieren, so weit wir da
eindringen können, sowie die magische Wiedergeburt.
Sehen
wir uns zunächst nochmals die im CN-Kreis bekannten Systeme an, die dem
Prinzip der doppelten Unsterblichkeit zugrunde liegen:
Jeder
Mensch – überhaupt jedes Lebewesen – ist eine Dreieinheit aus Geist,
Seele, Leben. Der Geist entspricht dem Wesen, die Seele der Form, dazu
kommt die unverlierbare Kraft des Lebens. Jeder besitzt einen „inneren
Leib" (quasi Astralkörper). Dieser ist ewig, sein Zustand entspricht dem
Ausgewachsenseins, beim Menschen also ungefähr dem 21. Lebensjahr. Der
irdische Leib bildet sich um den inneren Leib aufgrund von dessen
Muster. Nach dem Sterben löst sich der innere Leib (Astralkörper) aus
dem unbrauchbar gewordenen Erdenleib. Das eigentliche Wesen des
Menschen, seinen untrennbar mit dem inneren Leib verbundenes Ich, die
ewige Dreieinheit Geist-Seele-Leben, damit also seine ichbewußte
Persönlichkeit, berührt dies im Grunde wenig. In einer seiner
Eigenschwingung angemessenen jenseitigen Welt bildet sich aus einer
passenden neuen Stofflichkeit um den inneren Leib, der feinstofflich
ist, ein neuer äußerer Leib. Dieser hat wieder eine grostoffliche Form,
wenn auch nicht identisch mit dem irdischen Grobstoff, sondern dem der
jenseitigen Welt angemessen.
Gehen
wir jetzt ins Konkrete, der „Julietta-Fall“ ist dafür als Beispiel sehr
geeignet. Nehmen wir an, was vorstellbar ist, Julietta war Anna-Julia da
Montefeltro (ihr späteres Auftreten als Julietta da Montefeltro spricht
durchaus dafür).
Anna-Julia verstarb im Alter von 16 Jahren. Dann hätten wir den
interessanten Fall, daß sie als Julietta in das irdische Leben
zurückkam, und zwar verhältnismäßig bald nach ihrem Versterben, knapp 25
Jahre danach. Dies geht mit der Annahme konform, daß aufgrund des anders
als im Irdischen gearteten Zeitflusses in der Generalschwingungssphäre
des Jenseits eine Zeitspanne von 24 bis 28 Erdenjahren vergeht, ehe eine
magische Wiederverkörperung möglich ist. Als Julietta in Venedig
auftauchte, hatte sie ein Alter von Anfang 20. Das entspricht der
1:1-Umsetzung des inneren Leibs. Anna-Julia „1“ wäre damals viel älter
gewesen, ohne zwischenzeitliches Sterben könnte sie daher keinesfalls
Julietta sein. Juliettas Ankunft in Venedig erfolgte offenkundig nicht
unvorbereitet. Auf Murano wartete bereits ein Haus auf sie, dessen
Garten unmittelbar an den Park des Bucintoro-Anwesens auf der Insel
angrenzte. Das wird kaum Zufall gewesen sein. Werfen wir also nun
nochmals einen Blick auf den Ordo Bucintoro. Dieser war in erster Linie
eine Gründung der Marchesa Antonia Contenta, unterstützt von anderen
italienischen Adeligen und der deutschen Kaufmannschaft zu Venedig,
heimlich gefördert vom Dogen. Nun müssen wir klären, wer Antonia
Contenta war. Sie entstammte einem alten römischen Adelsgeschlecht. Mit
einer etwaigen „früheren Julietta“ identisch sein konnte sie nicht.
Antonia Contenta war blond, Julietta rötlich-brünett. Sie sind auch
sonst unterschiedliche Typen gewesen. Ferner ist die Geschichte der
Antonia Contenta recht gut bekannt, ihre Ehe mit dem aus Burgund
stammenden Bernard, sie hatte vier Kinder, lebte später in Wien etc.
Aber zweifellos hat Antonia Contenta die magischen Regeln des Ordo
Bucintoro aufgestellt und war in der ausschlaggebenden Anfangszeit
federführend im Orden. Diese Funktion auf dauer auszufüllen, ist
wahrscheinlich nie ihre Absicht gewesen, sie suchte nach einer
geeigneten Frau, das Werk weiterzuführen. Wenn wir ihre
Schriftensammlung „Spiritus Eros“ (dieser Titel wurde den Notizen erst
später gegeben) betrachten, so geht daraus eindeutig hervor, daß sie
genau jene Prinzipien kannte und praktisch anzuwenden wußte, von denen
wir hier zu reden haben. Sofern wir die mystisch-magischen Systeme als
real annehmen wollen, die im Ordo Bucintoro vertreten wurden, wäre es
ganz im Sinne der Sache gewesen, daß Antonia Contenta die magische
Wiedergeburt der Anna-Julia da Montefeltro als Julietta im Sinne der
Ordensziele ins Werk setzte. Damit müssen wir uns Anna-Julia näher
anschauen. Diese galt mit 15 und 16 Jahren bereits als „Zauberin“. Ihr
wurden unheimliche Kräfte nachgesagt. Die Beschreibung ihres Äußeren
paßt sehr gut auf Julietta. Nehmen wir an, was durchaus statthaft ist,
die Kunde um Anna-Julias „unheimliche Kräfte“ sei auch Antonia Contenta
zu Ohren gedrungen. Sie mag dadurch inspiriert worden sein, diesen
Gerüchten nachzugehen. Das wäre ihr, als einer namhaften Dame der
Gesellschaft, ein Leichtes gewesen. So kann sie zu der Auffassung
gelangt sein, das Mädchen Anna-Julia wäre äußerst geeignet für ihren
Ordo Bucintoro. Allein – Anna- Julia war verstorben (möglicherweise
vergiftet worden?). Für eine magische Sacerdotessa (Priesterin) kein
unlösbares Problem. Es ist gut denkbar, daß die Marchesa jene Anna-Julia
wegen ihrer besonderen Veranlagungen in den Reihen des Ordens haben
wollte; genau solche Menschen benötigte diese Gemeinschaft ja, um ihre
Ziele zu erreichen. Allerdings, wir wissen es: Anna-Julia war
verstorben, sie mußte also in die irdische Stofflichkeit zurückkehren.
Gehen wir nun davon aus, daß die Marchesa (nebst Gehilfen und
Gehilfinnen, die grobstoffliche Wiedergeburt der Anna-Julia betrieb und
auch zuwege brachte. Nach der Kundigkeit im Ordo Bucintoro wäre das
nicht einmal sonderlich schwierig gewesen. Den Auffassungen des Ordens
folgend, haben wir uns den Hergang ungefähr folgendermaßen vorzustellen:
Zuerst
mußte die verstorbene Anna-Julia im Jenseits aufgespürt und sozusagen
dort drüben angesprochen werden. Da medialer Verkehr mit der geistigen
Welt im Ordo Bucintoro zum Alltäglichen gehörte, konnte das keine
sonderliche Mühe bereiten. Das Dasein auf jenseitigen Welten haben wir
uns in vielerlei Hinsicht dem irdischen ähnlich vorzustellen. Die Art
der Stofflichkeit ist zwar „drüben“ eine andere, doch das nimmt das
subjektive Empfinden vermutlich kaum wahr. Das Leben im Jenseits kennt
kein Sterben mehr, auch kein Altern und keine Krankheit, wie auch keine
Fortpflanzung, aber alles in allem ist es dem gewohnten Erdendasein wohl
durchaus verwandt. Auch dort gibt es unterschiedliche Charaktere etc.
(wir sprechen von jenseitigen Welten, nicht vom höchsten Licht, dem
Reich Gottes). Es galt also zu-nächst, Anna-Julias Vertrauen zu gewinnen
und dann, sie von der Sinnhaftigkeit einer irdischen Wiedergeburt ihrer
Person zu überzeugen. Hier ist knapp darzulegen, wie solch eine
Diesseits-Jenseits-Kommunikation möglich ist: Die Jenseitigen können die
Grobstoffleiber von uns Diesseitigen nicht sehen und auch nicht hören,
was wir mit unserer Stimme artikulieren – aber sie sehen unsere inneren
Leiber (die „Astralkörper“) und erkennen auch alle unsere Gedanken! Die
Kommunikation erfolgt also durch das Senden von Gedankenbildern und
gedachten Worten (bloßes Aussprechen von Beschwörungsformerl würde gar
nichts bewirken; „Schwingungsworte“ wirkten anders). Das Gelingen
solcher Gedankenkommunikation ist in erster Linie eine Frage guter
Konzentrationsfähigkeit. Dabei handelt es sich um ein Denken mit dem
Geist, was etwas anderes bedeutet als Denken mit dem Verstand. Hier
berühren wir ein Feld wirksamer Magie, denn Magie ist bekanntlich:
Wirken durch Wollen. Im Ordo Bucintoro wurden dazu verschiedene
Verfahrensweisen ausgeübt, es war eine Angelegenheit der Frauen. Diesen
Punkt auszuweiten würde an dieser Stelle zu weit führen, es ist für das
weitere Verstehen des Vorgangs auch nicht nötig. Also zurück zum
konkreten Fall. Wir wissen, Anna-Julia hatte sowieso einen Hang zu
Mystik und Magie. Für das Unterfangen dürfte sie also offen gewesen
sein. Im übrigen gab es vielleicht sozusagen vor Ort sehr überzeugende
Mittler, etwa verstorbene Tempelritter, wie Saint-Omer (ein direkter
Vorfahre von Antonia Contentas Mann) oder der Wiener Komtur Hugo,
vielleicht auch Jocelyne d'Arras - auf alle Fälle überzeugende
Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts. Nehmen wir weiter an, dieser
erste nötige Schritt war getan, es bestand direkter medialer Kontakt
zwischen dem Ordo Bucintoro im irdischen Venedig und Anna-Julia im
Jenseits. Sodann war es nötig, die ja auf Erden jung und ohne viel
Lebenserfahrung verstorbene Anna-Julia genau zu instruieren - sicherlich
unterstützt von jenseitigen Verbündeten - denn sie mußte ja die nächsten
Schritte allein tun, alles lag jetzt bei ihr. Der verstorbenen
Anna-Julia mußte klargemacht und beigebracht werden, wie sie irdische
Grobstoffe ansammeln und damit um ihren inneren Leib (Astralkörper)
einen neuen Grobstoffleib aus irdischer Materie bilden konnte. Das
wiederum hieß, sie zunächst unbeschadet durch die gefährliche
„Nebelheimzone“ zu leiten, welche die Randbereiche von Jenseits und
diesseits überlappt. Gehen wir davon aus, daß jenseitige Helfer, wie
etwa der verstorbene Saint-Omer oder Jocelyne, dafür sorgten, daß dies
problemlos geschah. Jetzt befand sich Anna-Julia also im Nahebereich zum
Irdischen, sie konnte die notwendigen Grobstoffe kraft ihres Willens
heranziehen. Sämtliche Grobstoffe, die zur Bildung eines Erdenleibs
nötig sind, gibt es in der irdischen Natur. Es kam also nur noch auf
Anna-Julias Willenskraft an. Diese dürfte aber gut ausgeprägt gewesen
sein, allzumal ja eine Neigung zu dergleichen in ihrem Wesen vorhanden
war, die Schwingungsaffinität also stimmte. Jetzt war es so weit, daß
Anna-Julia wieder in irdischer Stofflichkeit erschien, wiederverkörpert
nach dem unveränderlichen Grundmuster ihres inneren Leibes, das heißt im
scheinbaren Lebensalter von Anfang 20. Anna-Julias irdische
Wiederverkörperung fand sicherlich an einem auf medialem Weg
besprochenen Ort statt, ganz unauffällig. Von dort aus wäre die
Wiederverkörperte dann unter dem Namen Julietta ganz unbefangen nach
Venedig gereist, um dort ihren schon vorbereiteten Wohnsitz zu beziehen.
Es wäre unklug gewesen, eine Frau sozusagen mitten in Venedig aus dem
Nichts auftauchen zu lassen, es war besser, sie kam angereist, wie
Menschen aus einer anderen Stadt zu kommen pflegen. Daß sich all dies so
verhalten hat, ist nur eine Annahme, aber eine logische.
Jetzt
fehlt natürlich noch ein Kernpunkt der Julietta-Mythe, doch auch dieser
ist nun gut erklärbar: Anna-Julia, nun mehr Julietta, benötigte
möglichst bald nach ihrer Wiedergeburt die „Bindesubstanz“ zur
Befestigung der irdischen Stoffe um ihren „Astralkörper“. Diese
spezielle Substanz mußte ein opferbereiter Mann ihr durch den Liebesakt
geben. Das kann keine Schwierigkeit dargestellt haben, es gab bestimmt
genug männliche Ordens-mitglieder, die gerne bereit waren, den nötigen
Beitrag zum Gelingen der Sache zu leisten. Der Mann büßte dadurch zwar
einiges an Lebenskraft ein, konnte sich aber durchaus wieder erholen.
Die Julietta-Sage behauptet auch nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir
den Schriften „Spiritus Eros“ folgen, muß die Bindesubstanz der
Wiedergeborenen möglichst schnell zugeführt werden. Auch insofern wollte
das ganze Unternehmen gut vorbereitet sein. Die Angekommene war ja nicht
aus ureigenem Antrieb und nach langer Vorbereitung auf diesen Weg
gegangen, sondern im wesentlichen unvorbereitet. Bei einer eventuellen
nächsten Wiederverkörperung solcher Art, vielleicht Jahrhunderte später,
hätte sie alles Nötige beherrscht und den Vorgang auch ohne
Hilfestellung zu bewerkstelligen vermocht. Die Zuführung der
Bindesubstanz muß in gewissen Abständen immer wieder erneuert werden,
damit der neue irdische Leib der an sich Jenseitigen im Diesseits
stabil bleibt. Die sexualmagische Komponente spielt also auch hier eine
Rolle.
Was nun
Julietta betrifft, so könnte sie auch rein jenseitiger Natur gewesen
sein, also keine verstorbene Irdische. Im Kreise des Bucintoro-Ordens
würde man dann von einer „Venustochter“ gesprochen haben. Auch das wäre
kein „dämonisches“ Wesen, was allerdings nicht bedeutet, daß nicht auch
eine Dämonin denkbar wäre. Aber dergleichen wäre eine grundlegend andere
Sicht auf das Thema. Im Hinblick auf „Exorial“ ist diese andere
Eventualität nicht zu behandeln, hier kommt am ehesten das Prinzip der
doppelten Unsterblichkeit in Frage. Im übrigen bietet hinsichtlich der
Junletta die magische Wiedergeburt der Anna-Julia auch die
naheliegendere Erklärung im vorliegenden Fall.
Was nun
die Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit anbelangt, die Julietta
nachgeraunt wurde, so kann die vage nachverfolgbare Geschichte ihres
Wegs nach Sachsen-Anhalt dazu einiges aussagen, wo sie, wie schon
angemerkt, möglicherweise unter anderem Namen einen Prinzen aus dem
Hause Askanien heiratete. Das kann sein, es würde nicht grundsätzlich
gegen das übrige Gesagte stehen, wenn auch mit Einschränkungen. Denn
zutreffend scheint zu sein, daß Julietta über einen erstaunlich langen
Zeitraum das Aussehen einer Frau von Anfang 20 bewahrte, nämlich über
ein halbes Jahrhundert. Es gibt kein Bild und keine Beschreibung von
ihr, die von einem älteren Aussehen dieser Frau berichtet, obschon sie
mittlerweile mindestens 70 sein mußte. War sie eine magisch
Wiedergeborene, so wäre das logisch und auch gar nicht anders möglich,
da ihr diesseitiger Leib ja quasi künstlich um den „Astralkörper“
gebildet ist und durch regelmäßiges Zuführen der Bindesubstanz in diesem
Zustand gehalten wird.
Verweilen wir noch für einen weiteren Augenblick in den magischen
Systemen des Ordo Bucintoro: Durch die immer wieder erneut zugeführte
Bindesubstanz erklärt sich das unwandelbare Aussehen der Julietta als
eine Frau von stets etwa 21 Jahren – denn sie kann nur so im Irdischen
existieren, anderenfalls würde der quasi künstlich aufgebaute irdische
Leib sich auflösen. Über welchen Zeitraum solch ein Zustand sich
aufrechterhalten läßt, ist umstritten. Sicherlich sehr lange, aber
wahrscheinlich nicht unbegrenzt. Jedenfalls kann eine magisch
wiedergeborene Person nicht an Altersschwäche oder auf einem anderen
idrisch-natürlichen Weg diese Welt verlassen. Sie kann nicht sterben,
sondern bloß wieder „hinübergehen“. Wenn sie eine Mission erfüllt – wie
Julietta für den Ordo Bucintoro – wird sie in ihre jenseitige Welt
zurückkehren, so bald alles Nötige getan ist. Sie könnte aus ganz
banalen Gründen auch nicht auf dauer an einem Ort verweilen, weil in
ihrer Umgebung irgendwann auffallen würde, daß sie nicht altert.
Es ist
aber anzunehmen, daß eine sozusagen geübte doppelt Unsterbliche nicht
nur einmal und in einer Zeit, sondern mehrfach in verschiedenen Epochen
sozusagen „zum Einsatz“ gelangt. Wenn wir davon ausgehen wollen, daß die
Julietta-Geschichte mehr als bloß eine Geschichte ist, wofür vieles
spricht, so hat diese Frau vielleicht inzwischen schon mehrfach als
magisch Wiedergeborene auf der Erde gewirkt.
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