Sonntag, 26. Juni 2016

Wolfgang Weissgerber zu Wahlen, ...das gesamte System verliert allmählich seine politische Legitimation

         hier ein etwas älterer Artikel, zum Thema Wahlen

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Eine Erfahrung, die zuletzt die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau machen musste. Trotz eines noch nie dagewesenen werblichen Aufwands, mit einem persönlich gehaltenen Brief des Kirchenpräsidenten an jedes wahlberechtigte Mitglied, ging die Beteiligung im Vergleich zur vorangegangenen Wahl weiter zurück – von 20,5 auf 18,5 Prozent, noch weniger als in den ländlich strukturierten Nachbarkirchen von Kurhessen-Waldeck und der Pfalz.
Nicht einmal jedes fünfte Mitglied war also daran interessiert, auf die Zusammensetzung des Kirchenvorstands seiner Gemeinde Einfluss zu nehmen. Die jüngste Studie zur Kirchenmitgliedschaft hatte eigentlich einen gegenteiligen Trend erwarten lassen. Denn bei sinkenden Mitgliederzahlen wächst der Anteil der Hochverbundenen unter den Mitgliedern – weil nämlich jene, denen die Kirche weniger wichtig scheint, längst ausgetreten sind. Doch auch der überwältigenden Mehrheit der Verbliebenen scheint die Organisation egal zu sein. Allenfalls ihre Dienstleistungen – Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung, gelegentlich ein Konzert oder ein Gottesdienst – werden genutzt, mehr nicht.
Es ist paradox: Der Ruf nach Volksentscheiden und Bürgerbeteiligung wird zwar immer lauter. Tatsächlich wächst auch die Zahl der Gelegenheiten, auf politische Entscheidungen mehr Einfluss zu nehmen als nur mit dem Kreuz auf dem Wahlzettel. Doch wenn’s zur Sache geht, kneifen die lieben Bürgerinnen und Bürger.
Viele Volksentscheide verfehlen die erforderliche Mindestbeteiligung von zumeist 25 Prozent. Nur jeder fünfte Frankfurter machte sich beispielsweise vor ein paar Wochen die Mühe, für oder gegen die Überlassung des Geländes der Niederräder Pferderennbahn an den Deutschen Fußballbund zu stimmen. Es war der erste Bürgerentscheid in Frankfurt überhaupt. In Darmstadt gab es den schon vor sechs Jahren, doch ebenfalls ohne die erforderliche Mindestbeteiligung von 25 Prozent, obwohl mit einer strittigen Umgehungsstraße ein weitaus brisanteres Thema zur Abstimmung stand.
Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Wahlforscher führen pauschal Politikverdrossenheit, gebrochene Wahlversprechen oder ein politisches Desinteresse junger Menschen an. Um so klarer sind dagegen die Folgen solcher Abstinenz: Das gesamte System verliert allmählich seine politische Legitimation. Es wird noch mehr als ohnehin zum Spielball von Mächten und Interessen. Demokratie funktioniert nicht, wenn das Volk nicht herrschen will.

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