Das
Justizdebakel um den Koblenzer Neonaziprozess sorgte 2017 bundesweit
für Schlagzeilen – jetzt ist klar, wer die Neuauflage des Prozesses am
Landgericht Koblenz leiten wird: Reiner Rühmann. Der 54-Jährige war
bisher Direktor des Amtsgerichts Koblenz und ist seit Anfang März
Vizepräsident des Landgerichts.
Der
Mammutprozess um das ultrarechte Aktionsbüro Mittelrhein war der wohl
längste und teuerste Neonaziprozess in der Geschichte von
Rheinland-Pfalz. Er zählte anfangs 26 Angeklagte, dauerte fast fünf
Jahre, kostete rund 20 Millionen Euro Steuergeld – und wurde 2017
abgebrochen. Grund: Der Vorsitzende Richter musste in den Ruhestand, und
es stand kein Ersatzrichter mehr zur Verfügung.
Wann die
Neuauflage des Koblenzer Neonaziprozesses losgeht, ist unklar. Richter
Rühmann aber macht in einem ausführlichen Interview mit unserer Zeitung
klar: "Wenn es nach mir geht, kann der neue Prozess noch 2018 beginnen."
Rühmann kritisiert, dass es immer mehr Querulanten gibt, die sich
"Reichsbürger" nennen, aber faktisch Rechtsverweigerer sind. Außerdem
kritisiert er, dass die Justiz immer weiblicher wird: "Heute arbeiten am
Amtsgericht Koblenz 159 Menschen – 121 Frauen und 38 Männer. Es gibt
eine klare Tendenz zu mehr Frauen und immer weniger Männern."
Rühmann
sagt auch sehr deutlich: „Ich befürworte die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf sehr. Aber es war und ist mir ein großes Anliegen bei jeder
Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass diese Vereinbarkeit vor allem eine
ausreichende Ausstattung mit Personal erfordert, um Ausfallzeiten besser
abdecken zu können und flexible Arbeitszeitmodelle auskömmlich zu
gestalten.“
Rühmanns Vorgänger als Gerichtsvize, Edgar Becht (65),
ging Ende Februar altersbedingt in den Ruhestand. Er hatte das Amt seit
Oktober 2005 inne. In Bechts letzter dienstlicher Beurteilung aus dem
Jahr 2012 hieß es: Er erbrachte "als Vizepräsident aufgrund seiner
einschlägigen Vorerfahrung, seiner vorbildlichen Haltung und seiner
hohen sozialen Kompetenz herausragende Leistungen".
Wer neuer
Amtsgerichtsdirektor in Koblenz wird, ist unklar. Das Justizministerium
in Mainz teilte der RZ mit: Das Amt des Gerichtsdirektors wird im
nächsten Justizblatt ausgeschrieben, das am 19. März erscheint. Das
Besetzungsverfahren werde dann wohl einige Monate dauern. Bis es einen
neuen Gerichtsdirektor gibt, leitet Rühmanns bisherige Vertreterin
Nicole Griesar das Amtsgericht.
Er
geht rigoros gegen „Reichsbürger“ vor, kritisiert den Frauenüberschuss
in der Justiz und deren permanente Personalnot: Reiner Rühmann (54) ist
seit 25 Jahren Richter, vertritt selbstbewusst seinen Standpunkt und
macht Karriere. Er wurde Ende 2015 Direktor des Amtsgerichts in Koblenz –
jetzt wechselte er ans Landgericht. Er zog im Koblenzer Justizhochhaus
von der zweiten in die dritte Etage und arbeitet künftig als
Stellvertreter von Gerichtspräsident Stephan Rüll. Rühmann ist darum
künftig Vizechef von rund 200 Richtern, die im Landgerichtsbezirk
Koblenz arbeiten – zwischen Cochem und Betzdorf, Bad Neuenahr-Ahrweiler
und Lahnstein. Unsere Zeitung traf ihn zum ausführlichen Interview:
Herr Rühmann, Sie arbeiten künftig als Vizechef des Landgerichts Koblenz. Was kommt da auf Sie zu?
Ich
arbeitete 15 Jahre lang vor allem in der Verwaltung von Gerichten.
Künftig werde ich das auch tun, aber auch wieder mehr als Richter
arbeiten. Ich übernehme den Vorsitz einer Großen Strafkammer und leite
den neuen Prozess zum Aktionsbüro Mittelrhein.
Ach
was? Den unendlichen Neonaziprozess mit anfangs 26 Angeklagten, der
2017 nach fünf Jahren wegen „überlanger Verfahrensdauer“ abgebrochen
wurde?
Ja, genau.
Wann beginnt die Neuauflage des Prozesses? Noch 2018?
Wenn es nach mir geht, schon.
Haben Sie sich ein konkretes Ziel gesetzt, das Sie als Vizechef des Landgerichts erreichen wollen?
Nein, ich bin ja Vizepräsident, nicht Präsident. Es ist nicht meine Aufgabe, Ziele zu definieren.
Sondern? Was ist Ihre Aufgabe?
Ich
arbeite in 90 Prozent meiner Arbeitszeit als Vorsitzender Richter. In
meiner restlichen Zeit vertrete ich den Präsidenten des Landgerichts in
vielfältigen Verwaltungsangelegenheiten.
Reiner Rühmann: Von Betzdorf über Mainz nach Koblenz
Es
war ein Festakt mit gut 150 Politikern, Richtern, Staatsanwälten und
anderen Justizmitarbeitern: Reiner Rühmann wurde Anfang 2016 vom
damaligen rheinland-pfälzischen Justizminister Gerhard Robbers (SPD)
offiziell in sein Amt als Chef des Amtsgerichts Koblenz eingeführt.
Jetzt, zwei Jahre später, stieg Rühmann weiter auf. Seit 1. März ist er
Vizepräsident des Landgerichts Koblenz. Ein Rückblick auf sein Leben als
Richter: Rühmann (54) ist verheiratet und hat ein Kind. Er studierte
bis 1988 Rechtswissenschaften in Bonn, arbeitete bis 1993 als Referendar
im Bezirk des Oberlandesgerichts Koblenz, außerdem bis 2008 als Richter
am Amtsgericht Betzdorf sowie als Referent im Justizministerium in
Mainz. 2008 wurde er Vorsitzender Richter am Landgericht Koblenz, 2009
Direktor des Amtsgerichts Montabaur und 2015 Direktor des Amtsgerichts
Koblenz.
Sie arbeiten seit 25 Jahren als Richter. Was hat sich verändert?
Es
gibt immer mehr Querulanten – Menschen, die einen Konflikt mit unserem
Rechtsstaat haben, aber dessen einfachste Regeln nicht anerkennen. Man
nennt sie in der Regel „Reichsbürger“, ich nenne sie Rechtsverweigerer.
Was tun diese Leute?
Sie
parken falsch, weigern sich aber hartnäckig, das Knöllchen zu bezahlen,
da sie behaupten, es stamme vom Vertreter eines Landes, das es nicht
gibt – sie meinen Rheinland-Pfalz. Andere weigern sich, einen
Zivilprozess am Amtsgericht zu führen, weil sie behaupten, das sei kein
rechtmäßiges Gericht. Das klingt vielleicht lustig, ist es aber nicht.
Solche Leute schicken seitenlange Schriftsätze, die wir durchforsten
müssen, ob sich darin vielleicht etwas Substanzielles verbirgt. Das
kostet viel Zeit.
Hatten Sie persönlich schon mit „Reichsbürgern“ zu tun?
Ja.
Ich bekomme ständig Schriftsätze persönlich vom Postboten zugestellt.
Sie sind an den „Mann Reiner aus der Familie Rühmann“ gerichtet und
verlangen zum Beispiel, dass ich eine Strafe von 50 Millionen Reichsmark
bezahle oder den Gegenwert in Gold. Damit kann man auf viele Arten
umgehen. Eine davon ist, alles in den Papierkorb zu werfen. Übrigens
forderte mich mal ein „Reichsbürger“ in einem Prozess um
Sachbeschädigung auf, ihm meinen Dienstausweis zu zeigen.
Wie haben Sie reagiert?
Gar nicht. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass ich mich in meinem Gericht, in meinem Gerichtssaal, nicht ausweisen muss.
Was passierte dann?
Nichts.
Der Prozess ging weiter. Und hätte der Angeklagte einfach gehen wollen,
hätte ich die Wachtmeister gerufen – die hätten ihn gestoppt. Die
sogenannten Reichsbürger wollen nur Rabatz. Damit haben sie bei mir
keine Chance.
Was veränderte sich noch in ihrer langen Dienstzeit als Richter?
Mir
fällt auf, dass die Justiz immer weiblicher wird. Heute arbeiten am
Amtsgericht Koblenz 159 Menschen – 121 Frauen und 38 Männer. Es gibt
eine klare Tendenz zu mehr Frauen und immer weniger Männern: 2013 gab es
am Amtsgericht Koblenz 11 Richterinnen und 13 Richter. 2018 sind es 13
Richterinnen und 9 Richter. Das Verhältnis hat sich mehr als umgekehrt.
Warum ist das so? Warum wollen so viele Frauen am Gericht arbeiten?
Weil
ein Gericht trotz aller Personalnot ein attraktiver Arbeitgeber ist.
Männer, die gute Juristen sind, wollen oft in erster Linie viel Geld
verdienen, darum arbeiten sie statt für ein Gericht lieber in einer
Anwaltskanzlei oder einem Unternehmen. Frauen, die ebenso gute Juristen
sind, entscheiden sich anders. Sie bevorzugen die Unabhängigkeit eines
Richters und die damit einhergehende weitgehend freie Gestaltung ihrer
Arbeitszeiten. Dafür verzichten sie auf ein Mehr an Gehalt.
Wie sind Sie als Chef des Amtsgerichts Koblenz mit dem Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen umgegangen?
Ich
glaube, gemischte Teams funktionieren besser. Wir haben – soweit
möglich – die vergleichsweise wenigen Männer strategisch verteilt, damit
in jeder Abteilung wenigstens einer ist.
Männermangel im Justizhochhaus: Vor allem Frauen wollen Richter werden
Der
Beruf des Richters genießt großes Ansehen – und das Amtsgericht im
Koblenzer Justizhochhaus ist nach Ludwigshafen und Mainz das drittgrößte
in Rheinland-Pfalz. Trotzdem wollen dort immer weniger Männer als
Richter arbeiten. Reiner Rühmann, der bis Ende Februar Direktor des
Amtsgerichts war, nennt dafür zwei Gründe. Erstens verdienen Richter
meist weniger als Anwälte erfolgreicher Großkanzleien, was dazu führe,
dass viele Männer lieber dort arbeiten. „Ich will nicht sagen, dass die
Justiz schlecht bezahlt“, sagt Rühmann. „Es könnte natürlich mehr sein.
Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.“ Zweitens ist das Gericht gerade
für Frauen ein attraktiver Arbeitgeber: „Das Gericht bietet sehr
flexible Arbeitszeiten“, sagt Rühmann. „Richterinnen und Richter können
ihre Arbeitszeit fast stufenlos auf bis zu 25 Prozent begrenzen.“
Was war Ihre größte Herausforderung am Amtsgericht Koblenz?
Sicher
die Personalnot. Wir sind tendenziell in allen Bereichen deutlich
unterbesetzt. Die Personalbemessung der Justiz legt eigentlich genau
fest, wie viel Personal ein Gericht benötigt. Aber wir erfüllen diese
Bemessung bei Richtern und Rechtspflegern nur zu 80 Prozent. Am
Amtsgericht Koblenz fehlen mindestens vier Richter und fünf
Rechtspfleger – Menschen, die Vollzeit arbeiten müssten, aber schlicht
nicht da sind. Deren Arbeit müssen die anderen 22 Richter und 26
Rechtspfleger zusätzlich erledigen. Das führt natürlich zu erheblichen
Belastungen, die noch verstärkt werden können, wenn ein Kollege länger
erkrankt oder in Elternzeit geht.
Seit wann gibt es diese Personallücke von 20 Prozent?
Gefühlt
schon immer. Bereits unsere alte Personalbemessung wurde nur zu 80
Prozent erfüllt. Vor zwei Jahren gab es eine neue – aber geändert hat
sich nichts.
Was bedeutet das für einen Richter?
Ein
Zivilrichter sollte im Jahr 500 Verfahren bearbeiten – das ist die
Schlagzahl am Amtsgericht. Doch da wir die Personalbemessung nicht
erfüllen, sind es statt 500 rund 600 Verfahren. Ich kann nicht sagen,
wie viel Mehrarbeit das in Stunden bedeutet, denn Richter haben keine
festen Arbeitszeiten. Aber sicher ist: Ein Richter muss am Amtsgericht
Koblenz deutlich mehr arbeiten, als dies bei einer Personalbemessung von
100 Prozent der Fall wäre. Ähnlich ist es bei den Rechtspflegern und
den Geschäftsstellenbeamten.
Haben Sie als Amtsgerichtsdirektor darauf hingewirkt, dass der Personalbestand erhöht wird?
Natürlich,
das war für mich ein regelmäßiges Ringen mit den zuständigen
Personalreferenten am Landgericht und am Oberlandesgericht. Beide
versuchten, den vorhandenen Personalmangel gleichmäßig und gerecht zu
verteilen. Doch was gleichmäßig und gerecht bedeutet, darüber haben wir
oft lange diskutiert. Es gab keine Dienstbesprechung, bei der die
Personalnot kein Thema war.
Und jetzt haben
Sie die Seite gewechselt. Künftig sind Sie es, der als Vizechef des
Landgerichts mit den Amtsgerichtsdirektoren über das gleichmäßige und
gerechte Verteilen des Personalmangels verhandelt?
Ja, das kann passieren, wenn der Gerichtspräsident verhindert ist.
Das Gespräch führte Hartmut Wagner
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