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Auszug:
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Freiheit, die wir meinen
Freiheitsfest - 20 Jahre Friedliche Revolution
Mit Dr. Tine Stein, Wissenschaftszentrum Berlin
Die
Jahre 1989 und 1990 bedeuteten keine Wende, sondern tatsächlich eine –
friedliche – Revolution, denn es ging um eine neue
Legitimationsgrundlage für die ostdeutsche Gesellschaft. Mit dieser
grundlegenden Feststellung eröffnete Dr. Tine Stein einen lebendigen
Vortrag über eines der spannendsten Kapitel deutscher
Verfassungsdiskussion. Denn dass die Verfassungsdebatte von 1989/90
keineswegs ein Thema von gestern ist, zeigte nicht nur das Interesse an
diesem Workshop, sondern auch das Echo, dass SPD-Chef Franz Münteferings
wohl allerdings eher populistischer Verfassungsvorstoß vor einigen
Monaten erfuhr.
Am Anfang der
Verfassungsbewegung von 1989/90 stand der erste Runde Tisch, der den
Auftrag formulierte, einen neuen Verfassungsentwurf für die DDR zu
entwickeln. In diesem sollten sowohl die Grundrechte wirkungsvoll
verankert werden als auch die basisdemokratischen Erfahrungen der
friedlichen Revolution einfließen. Der Gedanke, dass es schon in wenigen
Monaten zur deutschen Wiedervereinigung kommen würde, kam damals kaum
jemandem. Tine Stein: "Man dachte damals in Jahren." Und schließlich
ging ja auch Art. 146 GG in seiner damaligen Fassung davon aus, dass es
einen gesamtdeutschen Verfassungsdiskussionsprozess geben würde. Die
sich im Frühjahr 1990 überschlagenden Ereignisse – vorgezogene
Volkskammerwahlen und der Wahlsieg der sogenannten Allianz für
Deutschland – sorgten jedoch dafür, dass die Ergebnisse der eingesetzten
"Arbeitsgruppe Neue Verfassung" weder politisch noch gesellschaftlich
auf breite Resonanz stießen. Es gab durchaus Interesse, allein 200.000
Unterschriften wurden für den vorgelegten, vom demokratischen
Selbstbewusstsein der Revolution geprägten Verfassungsentwurf gesammelt,
doch gerade auf politischem Parkett wurde dem Entwurf durch das
Zurückdrängen der Bürgerrechtler der ersten Stunde wenig Beachtung
geschenkt. Im Gegenteil: Vorwürfe wurden laut, dass dieser Entwurf ein
von "Linkem Gedankengut" geprägter "Dritter Weg zum zweiten Fall" der
DDR sei.
Als sich die deutsche Einheit
abzeichnete und eine intensive Diskussion darüber entbrannte, ob sich
Deutschland nach Art. 146 GG aF oder nach Art. 23 GG aF wiedervereinigen
sollte, mehrten sich dann auch in der alten Bundesrepublik Stimmen, die
auf eine nun gesamtdeutsche Verfassungsdiskussion drängten. Es
konstituierte sich ein Verfassungskuratorium mit West- wie Ostdeutschen,
doch es formierte sich auch Widerstand. Insbesondere im konservativen,
aber auch im linken politischen Spektrum wurden Befürchtungen laut, die
"Errungenschaften" des Grundgesetzes seien in Gefahr. So formulierten
linke Stimmen ihre Angst, dass bei einer neuen Verfassungsdiskussion
"der alte deutsche Chauvinismus" wieder zutage treten könnte, gar die
Wiedereinführung der Todesstrafe drohe.
Am Ende
setzten sich die Skeptiker durch. Die Wiedervereinigung verlief eher als
"rechtstechnischer Akt", am 02. Oktober 1990 gründeten sich die
ostdeutschen Länder und einen Tag später traten diese der alten
Bundesrepublik nach Art. 23 GG aF bei. Was blieb, war die Vereinbarung,
in einer gemeinsamen Verfassungskommission aus Bundestag und Bundesrat
Vorschläge für eine Überarbeitung des Grundgesetzes zu erarbeiten.
Passiert ist dabei nicht allzu viel: So sperrte sich insbesondere die
Union gegen mehr direktdemokratische Instrumentarien im Grundgesetz -
erstaunlich, hatten doch die Menschen in der DDR erst ihre demokratische
Reife eindrücklich unter Beweis gestellt.
In
der anschließenden Diskussion im Workshop stand die Frage im
Mittelpunkt, ob damit eine Chance für eine neue Legitimationsgrundlage
unserer gesamtdeutschen Gesellschaft verpasst wurde. Und: gibt es ihn
noch, den "constitutional moment", das "window of opportunity", in dem
eine breite gesellschaftliche und politische Diskussion über eine neue
Verfassung möglich ist? Die Ansichten darüber gingen auseinander.
Juristisch gäbe es die Möglichkeit jederzeit, doch politisch, so die
Mehrheit im Publikum, sei eine solche neue Verfassungsbewegung
gegenwärtig kaum vorstellbar. Dennoch, so Tine Stein zum Abschluss der
Diskussion, sollte doch gerade das Jubiläumsjahr 2009 allemal ein guter
Anlass sein, über das Thema wieder ernsthaft zu sprechen.
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