Samstag, 9. März 2019

spiegel online - Fall Emanuela Orlandi: Spur zum deutschen Friedhof


Spiegel Online·vor 20 Stunden

Auszug:

 

Fall Emanuela Orlandi Spur zum deutschen Friedhof

Das Verschwinden von Emanuela Orlandi beschäftigt Italien seit Jahrzehnten. Nun gibt es mal wieder ein neues Gerücht - und das führt zum Grab eines deutschen Kardinals.
Suchbild von Emanuela Orlandi
DPA
Suchbild von Emanuela Orlandi
Der Campo Santo Teutonico, der deutsche Friedhof hinter den Mauern des Vatikans, ist ein beschaulicher Ort im kleinen Kirchenstaat. Spektakulär allenfalls durch seine Lage und seine Ursprünge, die bis zu Karl dem Großen reichen sollen. Viele Künstler, Priester, Pilger sind dort begraben.
Doch nun steht das stille Gräberfeld im Zentrum des wohl aufregendsten und meistdiskutierten Kriminalfalls Italiens: Liegen auf dem Friedhof womöglich die Gebeine von Emanuela Orlandi, der Tochter eines Vatikan-Angestellten, die seit 35 Jahren vermisst und gesucht wird?
Verworrene Theorien über Geheimdienstler und Priester, widersprüchliche Zeugenaussagen, Hinweise, die im Nichts endeten - all das hat den Fall zu einem Mysterium gemacht. Italiens wohl größter Krimi.
Am 22. Juni 1983 verschwand die damals 15-jährige Römerin. Ihr letztes Lebenszeichen waren Telefonate: Sie sei zu spät zum Flöten-Unterricht gekommen, weil ein Vertreter von Avon Cosmetics sie angesprochen und ihr ein Jobangebot gemacht habe, erzählte Emanuela Orlandi ihrer Schwester. Auch in einem Telefonat mit einer Freundin sprach sie von dem Angebot.
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Alles danach ist ein Rätsel. Ein 16-Jähriger will sie am Nachmittag auf der Piazza Navona getroffen haben, mit ihrer Flöte, sie habe von zu Hause weglaufen und Kosmetik verkaufen wollen.
Die Polizei verteilte 3.000 Flugblätter mit Emanuelas Foto. Papst Johannes Paul II. appellierte an jene, die für das Verschwinden verantwortlich seien, das Mädchen freizulassen - und stufte damit den Fall als Entführung ein. "Wieso? Weiß er mehr, als die Polizei?", fragten sich viele Italiener.
Da begann eine Serie von Briefen, Telefonaten, Interviews, Filmen und Büchern zu dem Fall. So unterschiedlich die Theorien waren, hatten sie eines gemeinsam: Sie ließen sich nicht verifizieren.
  • Nur zwei Tage nach dem Papst-Aufruf berichtete ein anonymer Anrufer der Familie Orlandi, dass ihre Tochter von einer terroristischen Vereinigung gekidnappt worden sei und im Austausch gegen Mehmet Ali Agca freigelassen würde. Der hatte am 13. Mai 1981 ein Attentat auf den Papst verübt. Weitere Telefonate folgten, die vermeintliche Stimme von Emanuela wurde eingespielt - aber bald löste sich alles in Luft auf.
  • Gangster und Geheimdienste wurden verdächtigt, Ritualmörder und Serienkiller erfunden, war doch ein paar Monate zuvor schon ein anderes Mädchen verschwunden. Der römisch-katholische Teufelsaustreiber Gabriele Amorth beschuldigte Vatikan-Polizisten und ausländische Diplomaten, das Mädchen für Sex-Partys entführt und dann getötet zu haben. Beweise, Spuren? Nichts.
  • Zeugen wollen Emanuela Orlandi unter anderem auf einer griechischen Insel, in einem Camper in Paris, in einer Londoner Psychiatrie, in einem Konvent in Luxemburg gesehen haben. Anderen, meist anonymen Hinweisgebern zufolge lag sie unter einer Asphaltdecke in der Gemeinde Fiumicino oder im Fundament eines Hauses in Torvajanica.
  • Die Geliebte des Mafia-Bosses Enrico di Pedis erzählte, ihr "Renatino" habe die kleine Orlandi auf Wunsch des Kardinals Paul Marcinkus entführen lassen. Man habe Marcinkus damit nicht helfen, sondern ihn erpressen wollen, präzisierte später ein Bandenmitglied, weil der Geld der Bande verspielt habe.
Dieses Gerücht hielt einige Jahre. Marcinkus (gestorben 2006) war da schon tot, aber man traute dem Amerikaner, der viele Jahre lang Chef der mit dunklen Deals verbundenen Vatikan-Bank war, eigentlich alles zu. Als auch noch ein anonymer Anrufer sagte, Emanuelas Leiche läge im Grab di Pedis' in der Basilika Sant'Apollinare, beschloss die römische Justiz 2012, das Grab öffnen zu lassen. Denn die Kirche liegt direkt an dem Gebäude, in dem Emanuela zum Flöten-Unterricht war.
Doch man suchte vergebens. Keine Spur von dem Mädchen - nur die Frage tat sich auf, wieso ein Mafioso in der Basilika beerdigt werden konnte......



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