Angela Merkel: Das Ende der Situationsvernunft | ZEIT ONLINE
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vor 2 Tagen - Angela Merkel
hat die Republik nicht nur verwaltet. Sie hat die Regeln der alten BRD
kontrolliert gesprengt. Jetzt, da ihre Macht schwindet, ...Auszug:
Angela Merkel: Das Ende der Situationsvernunft
Angela Merkel hat die Republik nicht nur verwaltet. Sie
hat die Regeln der alten BRD kontrolliert gesprengt. Jetzt, da ihre
Macht schwindet, erkennt man ihr Prinzip.
Angela Merkel durchlebte zuletzt
mit dem Asylstreit in der Union eine der großen Krisen in ihrer
Kanzlerschaft. Neigt sich ihre Macht dem Ende zu? Philip Manow,
Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, über den
Politikstil und das Prinzip der Kanzlerin.
Angela Merkel
denkt angeblich jede Entscheidung von ihrem Ende her. Die Kanzlerin
selbst von ihrem eigenen
Ende her zu denken, ist ein Unterfangen voll Hegel'scher Melancholie:
Immer erst im Rückblick, wenn überhaupt, lässt sich eine historische
Formation auf den
Begriff bringen. Aber der Bogen, der sich nun vom Ende zurück zum Anfang
schlagen lässt, verspricht zumindest Selbstaufklärung darüber, in
welchen Zeiten wir eigentlich
unter "Merkel" gelebt haben. Zeiten, die nun vorbei sind, ganz unabhängig
davon, wie lange sich die Kanzlerin noch an der Macht halten wird. Denn "Merkel"
soll hier für eine gewisse Konstellation oder Machtformation stehen, nicht für
eine Person. Und der unter dieser Konstellation mögliche Politikmodus hat sich
nun ganz offensichtlich erschöpft.
Die Behauptung, dass sich
nun im Rückblick ein Bogen zeigt, meint auch: Die Art ihres Aufstiegs
enthielt bereits die Art ihres Abstiegs. Daher ist es schlüssig, dass
das, was nun zu Ende geht, nicht von außen, sondern von innen beendet
wird; nicht vom politischen Gegner, sondern von der
eigenen Partei; nicht von links, sondern von rechts; nicht auf
Bundesebene,
sondern aus den Ländern.
Was aber verbindet
Ende und Anfang in diesem Fall? Nehmen wir die Zeit nach
der Jahrtausendwende in den Blick, die Zeit des politischen Aufstiegs
von Angela Merkel, dann zeigt sich uns zunächst ein widersprüchliches
Bild. Diese Widersprüchlichkeit
gilt es erst überhaupt zu benennen und dann vielleicht auch aufzulösen,
denn
sie ist bislang offenbar nicht angemessen reflektiert, eigentlich noch
nicht einmal richtig beschrieben worden. Worin besteht sie?
Die paradoxe Kanzlerin
Einerseits begegnet uns in den frühen Nullerjahren die normale
Bundesrepublik, ein Regierungssystem so, wie wir es zu deuten gelernt haben –
eng gekoppelt, mit allerlei checks and
balances, Abstimmungszwängen und Vetorechten. Hier rangiert an erster
Stelle natürlich der deutsche Verbundföderalismus, der alles so schwierig und
koordinierungsbedürftig und so blockierungsanfällig macht, weil er systematisch
vom Prinzip des Parteienwettbewerbs durchwirkt ist, sodass die vielfältigen föderalen
Abstimmungsnotwendigkeiten immer auch für parteipolitische Antagonismen eingespannt
werden können, und dann ja auch regelmäßig werden.
An dieser Konstellation hatte sich nach der Jahrtausendwende nichts
Grundsätzliches geändert. Mit der PDS hatte sich ein
Parteiensystem noch weiter fragmentiert, das ja ohnehin nicht mehr der übersichtlichen
Zweieinhalb-Parteien-Konstellation der alten Bundesrepublik in ihrer Stabilitäts-
und Prosperitätsphase entsprach. Und mit der Bundestagswahl 2005 hatte sich das
Szenario zerschlagen, dass diese von der deutschen Einigung geerbte Spaltung
auf der Linken möglicherweise eine Episode bleiben könnte. Die Agenda 2010 der
Regierung Schröder hatte verlässlich dafür gesorgt, dass es stattdessen sogar
zur erfolgreichen Westausdehnung der PDS kam, die sich mit der WASG zu Die Linke vereinte. Die nahm in der
2005er Wahl, der Wahl, die Merkel an die Macht brachte, locker die Fünfprozenthürde,
nachdem die PDS es 2002 nur mit zwei Direktmandaten überhaupt in den Bundestag
geschafft hatte. Das war ein hinreichend starkes Signal, dass eine Stimme für Die Linke zukünftig keine verlorene sein
würde. Die Folgen bekam die SPD bei der
Bundestagswahl 2009 zu spüren. Die Sozialdemokraten, die zehn Jahre zuvor die Partei der
"Neuen Mitte" hatten sein wollen, wurden zwischen einer nach erfolglosem Ausflug in neoliberales
Gelände längst wieder mittig gewordenen Merkel-CDU und einer durch die Agenda-Kritik
dynamisierten Linke zerrieben.
"Negative Koordination"
Mit der höheren Fragmentierung des Parteiensystems musste es aber zu heterogeneren
Koalitionsbildungen in den Ländern kommen, und damit auch zu einer
unübersichtlicheren Lage im Bundesrat. Insofern war eigentlich alles
angerichtet für eine Fortsetzung der bekannten Langwierigkeit und
Langweiligkeit des deutschen Regierungssystems, der "negativen Koordination"
zwischen Koalitionsparteien, Ressorts, Bund und Ländern und der allgegenwärtigen
Politikverflechtung, die von Zeit zu Zeit sogar noch steigerungsfähig ist durch
ein Verfassungsgericht, das weitere Koordinierungshürden schafft........
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