Augsburger Allgemeine - Missbrauchte Nonne erzählt: "Ich war ein leichtes Opfer" / ein ehem. Priester über schwarzmagische Rituale in der Kirche - das dritte Auge
zu nachfolgendem, evtl. würde Frau Reisinger im Rahmen des Musterprozesses eine Aussage im Justizzentrum Bad Kreuznach machen evtl. kann Sie diese Beiträge schonmal kommentieren
Doris Reisinger beschuldigt einen Priester, sie mehrfach vergewaltigt
zu haben. Im Gespräch erzählt die ehemalige Nonne, wie sie zurück ins
Leben fand.
Von
Christine Jeske
„Mir geht es heute gut“, sagt die ehemalige Ordensschwester Doris
Reisinger. Das verwundert zunächst. Vor sechs Jahren hat sie die
katholische Gemeinschaft „Das Werk“ in Rom verlassen. Sie sei dort vor
elf Jahren von einem Priester mehrfach vergewaltigt worden, berichtet
sie. Ein anderer Geistlicher, Pater G., der ihr Hilfe anbot, habe sie im
Beichtstuhl sexuell belästigt. Dies hat sie in ihrem Buch „Nicht mehr
Ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“ beschrieben. Damals
hieß sie Doris Wagner.
Heute ist Doris Reisinger, die im
mittelfränkischen Ansbach geboren wurde, verheiratet mit einem Mann, der
ihr, so sagt sie, wirklich geholfen habe, das Erlebte zu verarbeiten.
„Ohne ihn hätte ich nicht überlebt.“ Deshalb könne sie heute darüber
reden, habe keinen „negativen Stress“ mehr, sondern positiven. Ihr neues
Buch ist auf dem Markt: „Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche“. Die Theologin ist derzeit jeden Tag zu Vorträgen unterwegs oder führt Gespräche. Ihr Telefon klingelt ständig, erzählt sie.
„Ich
habe, wenige Monate nachdem ich vergewaltigt worden bin, den Mann
getroffen, mit dem ich reden konnte und dem ich etwas bedeutet habe. Das
hat alles verändert.“ Auch er war ein Mitbruder. Mit ihm ist sie
verheiratet und hat ein gemeinsames Kind. Er habe der jungen Nonne
klargemacht: „Das hätte dir nicht passieren dürfen, das ist schlimm.“
Als junge Frau war sie noch unsicher
Die Theologin und Autorin Doris Reisinger fordert, dass sexueller
Missbrauch an Nonnen systematisch aufgearbeitet werden muss.
Das klingt selbstverständlich. Sexualisierte Gewalt ist ein
Verbrechen. Niemand sollte sie erleben müssen. Für die junge Doris
Wagner, die kurz nach ihrem Abitur mit Anfang 20 ihre weltliche Familie
verließ und in die selbst ernannte geistliche Familie „Das Werk“
eintrat, war nichts selbstverständlich. Nach und nach wurde sie dort zu
einer menschlichen Hülle. Sie stand von morgens bis abends in der Küche,
durfte nicht mit der Außenwelt kommunizieren, sollte keine Bücher
lesen. Strikter Gehorsam war oberstes Gebot, Selbstaufgabe das Ziel. Das
sei von Gott so gewollt, hieß es.
Sie verlor ihr Selbst, ihr
„Ich“ war nicht mehr greifbar. In dieser Situation geschah der massive
Übergriff des Priesters, so Reisinger. „Ich war ein leichtes Opfer.“ Als
sie sich entschloss, in die geistliche Gemeinschaft einzutreten, sei
sie noch kein gefestigter Mensch gewesen, leicht beeinflussbar – „wie
viele Menschen zwischen 15 und Anfang 20“. Sie hätte sich jemanden
gewünscht, der sie damals geschützt hätte, der geschaut hätte, worauf
sie sich einlässt. Es müsse Kontrollmechanismen in der katholischen
Kirche geben, sagt sie.
Vergewaltigung: Oberin machte ihr nur Vorwürfe
Ihr ist klar: „Man wird nie verhindern können, dass junge Menschen
anfällig sind für solche Strukturen, für solche Gruppen und Ideologien.“
Denn in diesem Alter gehe man gerne Risiken ein, das sei
„entwicklungspsychologisch so angelegt“, sagt Doris Reisinger. Seit 2003
gehörte sie zu der zwei Jahre zuvor vom Papst
anerkannten Kongregation, acht Jahre später begann ihr heutiges,
selbstbestimmtes Leben. 2014 machte sie ihre Geschichte öffentlich. 2018
schrieb die heute 35-Jährige einen bemerkenswerten Aufsatz zum
sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen, überschrieb ihn mit #NunsToo.
Ihr
großes Glück, dieser für sie unheilvollen Situation zu entrinnen, sei
für sie eine Verpflichtung, darüber zu reden, andere zu warnen, zu
analysieren, Wege aufzuzeigen, Forderungen an die Institution Kirche zu
stellen. Aber der Schritt, in die Öffentlichkeit zu gehen, geschah
zunächst mit dem „Mut der Verzweiflung“. Das habe viel Kraft gekostet.
Sie wusste, in die Ordensgemeinschaft würde das nicht hineindringen.
Im „Werk“ wurden ihr damals, als sie mit der Oberin über ihre
Vergewaltigung sprechen wollte, nur Vorwürfe gemacht. Sie wurde vom
Opfer zur Täterin. Sie sei schuld daran, was ihr passiert sei und wenn
sie nicht schweigen würde, schade sie der Gemeinschaft, hieß es. Diese
Einschüchterungen folgten dem üblichen Muster. Auch andere Opfer haben
diese Manipulation erlebt, entweder vom Täter selbst oder von den
Menschen, denen sie sich anvertrauen wollten. Diese Geschichten wurden
und werden immer wieder von Betroffenen erzählt. Das Verhalten hat
System.
Doris Reisinger ist enttäuscht, dass der Papst "keinen Plan hat
Mittlerweile wurde Doris Reisinger immer mehr bewusst, dass ihrem
sexuellen Missbrauch ein geistlicher beziehungsweise ein spiritueller
Missbrauch vorausging. Sie sei nach Belieben geformt worden und von
Forderungen eingezwängt gewesen. Das habe keine vernünftige
Auseinandersetzung mit ihrem Glauben ermöglicht. Im Gegenteil. Sie
bezeichnet es als „einfach nur gefährlich, wenn jemand verlangt, sich
aufzugeben, nicht mehr selbst zu denken und zu handeln“. Das sei mit
nichts zu rechtfertigen – „auch nicht mit Religion“.
An diesem
Samstag wird Doris Reisinger in Würzburg bei einem theologischen
Fachgespräch einen Vortrag halten. Sie freut sich darauf, denn die
Theologie gehört zur Kirche und sei beim Thema Missbrauch viel zu lange
still gewesen. In Würzburg wird wohl auch die Aussage von Papst
Franziskus Thema sein. Er räumte während seines Rückflugs von Abu Dhabi
nach Rom
am Dienstag den sexuellen Missbrauch von Nonnen in der katholischen
Kirche ein, sprach von einem Problem. Doris Reisinger spricht von einem
„Meilenstein“, erstmals habe jemand in dieser Position in der
katholischen Kirche sich „so offen“ dazu geäußert.
Andererseits
ist die 35-Jährige aber auch enttäuscht, dass der Papst „keinen Plan
hat“. Sie befürchtet, dass es bei dem Bekenntnis bleiben, aber keine
systematische Aufarbeitung und Bestrafung der Täter geben wird. „Erst
wenn Frauen auf allen Ebenen der Kirche auf Augenhöhe sind mit Männern
und wenn überhaupt niemand in der Kirche mehr in die Position gebracht
wird, dass er sich einem anderen unterwerfen muss, erst dann wird es
keinen Missbrauch mehr geben“, sagt die Theologin.
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