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28.07.1975 - Winifred Wagner: „Unser seliger Adolf“. Den Bayreuther Festspielen dieses Jahres, letzten Freitag mit Wolfgang Wagners Neuinszenierung des ...
Auszug:
Auszug:
Winifred Wagner: „Unser seliger Adolf“
Den Bayreuther Festspielen dieses Jahres, letzten Freitag mit Wolfgang
Wagners Neuinszenierung des „Parsifal“ eröffnet, wurde kurz vor Beginn
ein unerwartet dissonantes Vorspiel beschert: Winifred Wagner, 78,
Schwiegertochter des Meisters Richard und Freundin des Führers Adolf,
brach ihr drei Jahrzehnte langes Schweigen. In einem Dokumentarfilm von
Hans-Jürgen Syberberg preist sie Wagner-Fan Hitler als „einzigartige
Persönlichkeit“. Jüngere Wagner-Nachkommen und Wagnerianer fürchten nun
neuen Unfrieden um Bayreuth.
Wenn der Hitler heute hier zur Tür reinkäme", sagt die alte Dame,
"ich wäre genauso fröhlich und so glücklich, ihn hier zu sehen und zu
haben, als wie immer." Was sie "für gut und menschlich an dem Mann
gehalten" habe, das lasse sie sich "einfach nicht nehmen". Hitler, der
"blutbefleckte Freund", war, so schwärmt sie. "eine einzigartige
Persönlichkeit".
Winifred Wagner hatte nie ein Hehl daraus gemacht. daß sie Adolf
Hitler ungebrochen weiter so verehrt wie von 1930 bis 1944, als sie, die
Schwiegertochter Richard Wagners, Prinzipalin der Bayreuther Festspiele
und Herrin des Familiensitzes Villa Wahnfried war. Nur öffentlich
"predigen", wie sie sich ausdrückt, konnte sie ihre Treue zum Führer
nicht mehr: Seit dem Entnazifizierungs-Verfahren von 1947 sei ihr das
"Maul verboten" gewesen: im Interesse eines politisch bereinigten
Wagner- und Festspiel-Images war für lange Zeit wohl besonders der
Familie an ihrem Schweigen gelegen.
Jetzt hat sie gesprochen. Überredet von ihrem Enkel Gottfried Wagner.
28, Sohn des gegenwärtigen Festspiel-Leiters Wolfgang Wagner, hat sie
sich dem Münchner Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg 39, für einen fünf
Stunden langen Dokumentarfilm anvertraut, In ihrem alt- und
großbürgerlich ausgestatteten Bayreuther Pavillon. wo einst auch Hitler
oft zu Gast gewesen war, gab sie, mit tiefer, rauher Stimme, Auskunft
über "unseren seligen Adolf".
Gefilmt wurde das Mammut-Interview an fünf Tagen im April dieses
Jahres. Winifred-Enkel Gottfried, der in München Musik studiert und an
einer Doktorarbeit über Kurt Weill arbeitet, assistierte dem Regisseur
bei den Dreharbeiten. Unter dem Titel "Winifred Wagner und das Haus
Wahnfried 1914-1975" will Syberberg den Film im Herbst ins Kino bringen.
Syberberg hat in früheren Filmen Brecht, Kortner, Romy Schneider und
den bayrischen Sex-Filmer Alois Brummer dokumentarisch zu Wort kommen
lassen: in ästhetisch ehrgeizigen Spielfilm-Produktionen porträtierte er
einfühlsam zwei deutsche Trivial-Genies des 19. Jahrhunderts:
Bayernkönig Ludwig II. und Karl May. Bei Vorarbeiten zu einem geplanten
Spielfilm über Hitler kam ihm die Idee. dessen Bayreuther Freundin
Winifred Wagner "wie Brechts Zöllner nach ihrem Leben abzufragen".
Syberberg hat ihr von vornherein "zu erkennen gegeben", daß "sie auf
der falschen Seite" war: "Ich habe gesagt, Sie wissen, ich teile Ihre
Ansichten nicht, aber ich respektiere sie."
Die gebürtige Engländerin vom "Typ Herrenreiterin" (Syberberg), die
1914 nach Bayreuth gekommen war und ein Jahr später Richard Wagners Sohn
Siegfried (1869 bis 1930) geheiratet hatte, stellte sich Syberbergs
Filmteam und seinen Fragen mit teils reservierter, teils burschikoser,
stets aber selbstbewußter Bereitwilligkeit inmitten zahlreicher
Erinnerungsstücke, die nun auch im Film zu sehen sind.
Ein Bild in den Photoalben beispielsweise, die sie erinnerungsselig
vor der Kamera durchblättert, zeigt ihre Tochter Friedelind als Kind auf
dem Schoß von Goebbels. Friedelind Wagner zerstritt sich später mit
ihrer Mutter wegen deren Nazi-Verbindungen, ging 1940 nach Amerika und
schrieb ein Buch "Nacht über Bayreuth". Nach dem Krieg versöhnten sie
sich wieder -- im Film aber lästert die Mutter nun über die Tochter:
"Hat immer eine große Rolle spielen wollen" und "so recht auf"n grünen
Zweig ist sie nie gekommen".
Ähnlich fertigt sie auch ihren (1966 gestorbenen) Sohn Wieland ab,
der gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang von 1951 an die
Wagner-Festspiele geleitet und stilistisch modernisiert und Bayreuth vom
Hitler-Schatten weitgehend befreit hatte. Er habe, sagt sie vor der
Kamera, alles nur "runtergemacht" und "nur gegen uns intrigiert".
Wieland Wagner hatte es noch 1965 für nötig gefunden, sich öffentlich
gegen seine Mutter zu erklären, weil "die noch immer an des Führers
Endsieg glaubt".
Dieses makabre Image pflegt Winifred Wagner in Syberbergs Film
weiter, ungeniert und sichtlich unbelehrbar. Gleich eingangs erklärt
sie: "Das große Interesse der Allgemeinheit scheint sich immer wieder
auf unser Verhältnis zu Hitler zu konzentrieren." Für sie war das "eine
rein menschliche, persönliche und vertrauliche Bindung, die auf der
Grundlage der Verehrung und der Liebe zu Richard Wagner beruhte". Und
deshalb wird sie des Nazi-Führers "stets in Dankbarkeit gedenken, weil
er mir buchstäblich hier in Bayreuth sozusagen die Wege bereitet hat".
Daß Hitler dabei "die Festspiele in den Dienst des
Nationalsozialismus gestellt" habe, sei "barer Unsinn", meint die
Ex-Prinzipalin: Der Führer kam "als Wagner-Fan und Freund des Hauses" --
Nazi-Größen von Göring bis Rosenberg folgten ihm; HJ-, BdM- und
Trachtengruppen reisten an, "um einen Blick auf den Führer erhaschen zu
können", während seiner "Jubel- und Triumph-Fahrt" vom Wagner-Hort
Wahnfried zum Festspielhaus auf dem "Grünen Hügel", wo Winifred ihn
erwartete und ihn zur Loge geleitete.
Sonst kam Hitler, wie seine treue "Winni" sich erinnert, um bei den
Wagners "Familienleben zu genießen", ungestört in seinem Schlaf von vier
Uhr morgens bis elf oder zwölf Uhr mittags: "Hier auf meinem Terrain
hat er seine absolute Ruhe gehabt." Er kam auch, "um die Kinder zu
sehen", mit denen er "ganz rührend" war: "Sie haben ihn eigentlich als
guten Onkel betrachtet, und er hat sich wirklich als ein solcher bei uns
aufgeführt." Er hat "österreichischen Herzenstakt und Wärme" verbreitet
und "auch ganz nett Klavier gespielt".
Für Winifred "war er überhaupt nicht der Führer", sondern "dieser
fesselnde und interessante Mensch", an dem sie "nie eine menschliche
Enttäuschung erlebt" habe, "abgesehen natürlich von den Sachen, die
draußen vor sich gingen, aber das berührte mich ja nicht", und "alles,
was ins Dunkle geht bei ihm -- ich weiß, daß es existiert, aber für mich
existiert es nicht". Denn sie sei "ein restlos unpolitischer Mensch",
und notfalls ist sie "imstande, den Hitler, den ich kenne, vollkommen zu
trennen von dem, was man ihm heutzutage alles zur Last legt".
Außer über Hitler, "diese Erfahrung", die sie "nicht missen möchte",
plaudert Winifred Wagner in Syberbergs Film detail- und anekdotenreich
über ihr Leben im Haus Wahnfried. Von Richard Wagners Witwe Cosima wurde
sie dort "absolut im Sinne Wagners und Bayreuths erzogen", zur
"Nachfolgerin" der "Hohen Frau" bestimmt.
Für Syberberg ist sie vor allem "lebendes Zeugnis" einer von der
"Dekadenz des Großbürgertums" geprägten Epoche. Die Geschichte des
Hauses Wahnfried" die sein Film zugleich mit der Winifred Wagners
aufzeichnet, soll deutlich machen, daß die "Villa des Künstlers als
Utopie einer heilen Welt" zwangsläufig "die verhängnisvollen Gäste von
Ludwig II. bis zu Hitler" anlocken mußte.
Syberberg sieht in Winifred Wagner aber auch "die Frühemanzipierte"
exemplarisch verkörpert. Sie war für ihn "eine Unternehmerin, eine
Women"s-Lib-Person", die "feste Entscheidungen" traf. "Eigentlich", sagt
er, "ist der Film mein Beitrag zum Jahr der Frau."
Der Filmemacher, in seiner Ästhetik selber Wagnerianer und dem 19.
Jahrhundert verbunden, sieht sein provokantes Dokumentarwerk in erster
Linie nicht etwa als ideologiekritische Lektion, sondern als
"Kunstwerk", das "Vergnügen" bereiten und "schön" wirken soll. Darum
werde in dem Film "alle Freiheit der dialektischen Imagination gewahrt",
auch was die Präsentation der Winifred Wagner mit ihren
Hitler-Bekenntnissen angeht -- "durch die langsame und stille
Kameraführung, die das Gesicht, die Blicke einfängt, auf dem und in
denen die Worte und Welten entstehen und vergehen
So jedenfalls steht es geschrieben in einem französischen Text, den
Syberberg verfaßt hat -- zur Uraufführung der "Winifred Wagner" bei
einer Retrospektive des gesamten Syberberg-Filmschaffens in Paris. Titel
der kürzlich von der "Cinémathéque Francaise" veranstalteten Schau:
"Der Musikfilm der Zukunft".
Wolfgang und Gottfried Wagner freilich, die der Premiere beiwohnten.
konnten sich zu der "großen Distanz", mit der Ästhet Syberberg die
Hitler-Erinnerungen ihrer Mutter und Großmutter sehen will, ihrerseits
nicht durchringen: Sie fühlten sich doch so unmittelbar betroffen, daß
sie -- nach "Differenzen" und "Waffenstillstand" -- schließlich mit dem
befreundeten Regisseur übereinkamen, den Film vorerst nicht mehr
vorzuführen.
Die jüngeren Wagner-Erben sowie Freunde der Neu-Bayreuther Wagner-
* Mit Wagner-Verwandten und Freunden in Bayreuth.
Pflege befürchten sogar neuen politischen Unfrieden um Wahnfried
durch Winifreds Sprüche. Vielleicht, so bangt Hans-Jürgen Syberberg
fühlten sich jetzt "wieder welche dazu ermuntert", die Festspiele zu
stören -- etwa durch "Sieg Heil!"-Rufe.
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